Gefährliche Balance

Türkisches Tanztheater mit Kühlschrank

Stuttgart, 30/11/2005

Die Kunst, sich durch Geräusche selbst zu begleiten, wird im modernen Tanz derzeit von William Forsythe perfektioniert. Auch das türkische Tänzer- und Choreografenduo Filiz Sizanli und Mustafa Kaplan verzichtet auf jegliche Begleitung vom Tonband: sie tanzen zu den mechanischen Geräuschen eines auf den Boden knallenden Kühlschranks, zum Klackern von Spielzeug, zu platzenden Luftblasen in Cellophan. Das ungewöhnliche Paar aus Istanbul gastierte am letzten Tag des Türkei-Festivals Simdi im Stuttgarter Theater im Depot.

Im Stück „Dolap“ tanzt ein riesiger Kühlschrank mit. Geradezu graziös schwingt er hin und her, wird wie ein Punching-Ball zwischen den beiden auf dem Boden liegenden Tänzern hin- und hergekippelt. Gefährlich weit lassen sie das Monstrum auf sich fallen, bevor sie die Füße ausfahren, ihn auffangen und zurückstoßen. Es ist ein bisschen wie Tennis: hin und her, fast wie in Trance. Unterbrochen wird das Kühlschrank-Metronom, wenn die Tänzer auf das Ungetüm hinaufspringen oder darauf herumklettern wie zwei Himalaya-Bezwinger. Kaplan balanciert die Kühlschranktüre auf dem Kopf, Sizanli rennt in das leere Monstrum hinein und kippt mit ihm um. Wenn sie am Schluss die Türe mit knisterndem Klebeband wieder festgezurrt haben und beide kopfüber, wie besiegt von dem Ungetüm herabhängen, dann könnte das leicht absurde Stück auch die Satire auf einen Umzug gewesen sein: die Kapitulation vor dem Gefriermöbel.

Für „Sek Sek“ setzt Filiz Sizanli zwei kleine Spielzeugturner am Reck in Gang, deren leises Klackern über Lautsprecher verstärkt wird. Dann rollt sie wie in einem Hamsterrad ihren Partner mit den Füßen über den Boden, klettert später akrobatisch auf seine Schultern. Wie im ersten Stück interessiert die beiden der Moment vor dem Fall: wie lange kann ein schräger Körper (oder ein Kühlschrank) die Balance halten, bevor er fällt? Fast endlos dehnen sie diese schwerelose Spannung, bevor alles mit einem lauten Krach zusammensackt. Dazu kommt das Spiel mit der Wahrnehmung: wo Sizanli in „Dolap“ im Kühlschranksarg lag und nur Teile von ihr auf die merkwürdigsten Weisen daraus auftauchten, da bilden sie und ihr Partner in „Sek Sek“ abstruse Objekte aus ihren Körpern. Auch ein weiteres Küchenutensil kommt hier zum Einsatz: Sizanli schnalzt mit dem Mund Löcher in eine vom Boden zur Decke gespannte Cellophan-Bahn. Das Duo integriert Kinderspiel, physikalisches Experiment und Objektkunst in den modernen Tanz.

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