Von der Beredsamkeit des Schweigens

Zum Bournonville Sabbat: Eine Stippvisite im Tivoli

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Kopenhagen, 05/06/2005

Es ist Sonntag – und man hält‘s nicht für möglich: keine einzige Bournonville-Aktivität den ganzen Tag! Nicht einmal irgendein Bournonville-Lunch in einem der vielen Parks. Wäre auch nicht zu empfehlen, denn es weht eine steife Brise, und immer wieder tröpfelt‘s von oben vom eben noch sonnenklaren Himmel. Dies ist also der Bournonville-Sabbat. Doch damit die vielen Gäste nicht auf dumme Gedanken kommen, haben die cleveren Organisatoren für eine Tivoli-Stippvisite gesorgt. Das ist der große Vergnügungspark mitten in der Stadt, der vielerlei Attraktionen bietet – darunter auch das Pantomimen-Theater, das auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Hier führt eine eigene Pantomimengruppe mit Orchesterbegleitung mehrmals am Tage kurze Stücke auf. Das Publikum sitzt auf ein paar unbequemen Bänken, aber die meisten stehen und vergnügen sich wie weiland Bolle auf seinem Milchwagen.

Ich muss gestehen, kein unbedingter Fan der Pantomime zu sein – und ich finde es immer ziemlich grauslich, wenn‘s in den großen Ballettklassikern des 19. Jahrhunderts an die mimischen Rezitative geht und habe dann immer das Gefühl, dass es den Tänzern ebenso ergeht, wie wenn sie sich schämten, diese altmodischen Klischees praktizieren zu müssen. Selbst die Russen überzeugen mich da nur in Ausnahmefällen. Ganz anders die Dänen! Die Bournonville-Ballette strotzen ja nur so von erzählerischen mimischen Passagen – und ihnen zuzusehen, macht ausgesprochen Spaß und ist keinen Moment langweilig. Und nun gar diese Tivoli-Pantomimen, in denen das Verhältnis genau umgekehrt ist! Ganz wenigen tänzerischen Einlagen stehen hier umfangreiche pantomimische Szenen gegenüber. Sie stehen ganz in der Tradition der italienischen Commedia dell‘arte und des französischen Mime pur – haben sich allerdings zu einer ganz eigenen dänischen Gebärdensprache weiterentwickelt, deren Ausdrucksfähigkeit schier unbegrenzt ist, und die von ihnen mit ausgesprochener Lust exekutiert wird – mit all den Gags, Haut-den-Lukas-Pointen und Pardauzunfällen, die man eigentlich gar nicht mehr sehen mag. Doch wie die Dänen damit umgehen, gewinnen sie einen ganz eigenen Charme und eine ausgesprochene Herzenseloquenz.

Anschließend gab‘s dann noch eine Sonderführung durch das so herrlich altmodische Theater mit Bühne und Unterbühne, und die nahm der Herr Direktor persönlich vor, Claus Hjort – und wie er die Grundbegriffe erklärte und vorführte, wurden sie zu einer eigenen Sprache ohne Worte und gleichwohl von einer Wortmächtigkeit, wie sie nur den wenigsten von uns Normalbürgern zur Verfügung steht, wenn wir radebrechend unsere Gedanken in Worte übersetzen. Der Mann ist ein Phänomen – Mr. Charme in Person! Man sollte alle unsere Giselles mitsamt ihren Müttern, die ganze „Schwanensee“-Mischpoke und gesamte Brahmanen-Priesterkaste zu ihm schicken, damit sie bei und von ihm lernen, wie man mit der größten Genauigkeit und dazu mit einer aus der Grazie geborenen Anmut ausdrückt, wozu einem die Worte fehlen!

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