Tanzkompakt und atmosphärisch dicht
Auftakt des Festivals Dance 2010
Lange hat München auf diesen Abend gewartet: Louise Lecavalier – langjähriges Aushängeschild und Zugpferd der kanadischen Kompanie La La La Human Steps – als Solistin mit eigenem Programm zu erleben. Vor zwei Jahren musste die in ihrer kraftvollen Virtuosität wohl einmalige Tänzerin krankheitsbedingt absagen. Nun zeigte sie sich im Carl-Orff-Saal des Gasteig in Bestform, auch wenn nicht alle drei Choreografien, die man ganz auf ihr Können zugeschneidert hatte, gleichermaßen überzeugten.
Absurdes Drama im Kleinformat und eine augenzwinkernde Huldigung auf das performative Charisma der Protagonistin bot zu Beginn Crystal Pites „Lone Epic“. Lecavalier, mit blonder Mähne und blauem Anzug, betritt zielsicher die Bühne, stellt sich einem Chor von Notenpulten und hebt voller Elan zu Ausschnitten von Bernard Herrmanns Musik für „Citizen Kane“ den Taktstock. Doch dann gehen die Gedanken mit ihr durch und die blanken Notenblätter mutieren zu Worttafeln: „An wen eigentlich denkt die Sängerin, während sie ihre Arie trällert? Was will sie wirklich?“
Im Wechselspiel der Gefühle zwischen resoluter Künstlerallüre und persönlicher Verunsicherung verstrickt Louise Lecavalier sich immer tiefer in die Pulte, offenbart Ratlosigkeit, sucht in furiosen Torsionen am Boden Auswege und balanciert technisch brillant mit innerer Zerbrechlichkeit und tänzerischer Stärke. Ein Appetithappen, der Spaß macht!
Was darauf folgt, ist ein Feuerwerk an purem Tanz, eingepasst in den Leerraum eines Quadrats und akustisch geleitet von Yannick Rieus Originalmusik zu „Lula and the Sailor“. Präzise wie ein Uhrwerk, dynamisch wie eine Feder, mühelos und zugleich mit fast peitschender Intensität durchmisst Louise Lecavalier mit schnellen, klaren Bewegungen den Raum. An ihrer Seite Masaharu Imazu als skurriler Begleiter. Zwei Tänzer, die sich näher kommen, wieder auseinander driften, das Tempo und ihren energetischen Einsatz wechseln. Nichts lenkt von ihren schwarzen Gestalten ab. Keine Geschichte liegt ihrer Choreografie zu Grunde. Und doch werden wir Zeugen einer abstrakten Erzählung, in der das wippende Nebeneinander der Partner den Titel des Stücks in Erinnerung ruft.
Schwer, diesem Kleinod an bahnbrecherischer Tanzkunst noch etwas anzufügen. Louise Lecavalier tut es, indem sie – grausig verhüllt – mit „‘I’ Is Memory“ Benoît Lachambres entmenschlichte Orgie der Langsamkeit interpretiert: 40 Minuten lang vermag sie – quasi gesichtslos – das Publikum allein durch körperliche Präsenz und athletisch-minimalistische Verkrümmungen zu fesseln. Keine kleine Herausforderung für die Lecavalier – aber auch keine leichte Kost fürs Publikum.
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