Geburtshelferin der Ballettdramaturgie

Angela Dauber zum sechzigsten Geburtstag

oe
Stuttgart, 16/09/2006

Ich kann mich nicht daran erinnern, bei meinen ersten Nachkriegs-Theaterbesuchen in den Jahren 1945/46 in Deutschland jemals dem Wort Ballettdramaturgie begegnet zu sein. Operndramaturgie schon: die gab es auch bereits während des Krieges (und sehr dezidiert bei Julius Kapp an der Berliner Staatsoper). Massiv trat die Ballettdramaturgie nach dem Ende der Ära von Tatjana Gsovsky an der Deutschen Staatsoper in Ostberlin in Erscheinung. Und zwar in der Person von Albert Burkat, einem Fließbandverfertiger von Libretti für die strikt der Doktrin des sogenannten sozialistischen Realismus verpflichteten Ballette von Lilo Gruber. Etwas später folgte dann Bernd Köllinger an der Komischen Oper – auch er zunächst bekannt geworden als Librettist der Ballette von Tom Schilling, ehe er dann Ballettdirektor am Hause Felsensteins und so peu à peu als Rivale von Eberhard Rebling zum wegweisenden Ballettideologen der DDR wurde. Wieder wird mir bewusst: es fehlt eine grundlegende Ballettgeschichte der DDR – am liebsten wünschte ich sie mir von Ralf Stabel.

Es dauerte indessen bis in die sechziger Jahre, ehe der Begriff Ballettdramaturgie auch in der Bundesrepublik häufiger auftauchte. Und das ganz gewiss nicht in Stuttgart, wo das deutsche Nachkriegsballett unter John Cranko zu seinem internationalen Siegeszug aufbrach. Ja, ich entsinne mich noch gut, wie Cranko mitleidig lächelnd den Kopf schüttelte, wann immer jemand das Defizit von Dramaturgie in den Balletten der damaligen Zeit beklagte. Er tat so, als könnte er absolut nicht verstehen, was das denn überhaupt sei, die Ballettdramaturgie, die er offensichtlich für eine deutsche Marotte hielt.

Es bedurfte der Ankunft von Angela Dauber, die in Zusammenwirken mit John Neumeier – maßstabsetzend bei dessen „Kameliendame“ 1978 in Stuttgart – den Begriff der Ballettdramaturgie für die westdeutsche Szene prägte. 1945 am 16. September in Bad Homburg geboren, in Düsseldorf aufgewachsen, in dem damals tänzerisch sehr aktiven Dreieck von Köln, Düsseldorf und Wuppertal mit dem terpsichoreischen Virus infiziert, wurde sie dann in München heimisch, doch war es Hamburg, war es John Neumeier, mit dem zusammen sie dessen große Handlungsballette erarbeitete (begleitet von den fabelhaften Programmheften und Jahrbüchern), die inzwischen zu einem so kompakten Oeuvre angewachsen sind, dass man mit Fug und Recht in Analogie von Lessings berühmter „Hamburgischen Dramaturgie“ von einer spezifischen Hamburger Ballettdramaturgie sprechen kann.

Dabei hat sie sich selbst offenbar kaum je als Ballettdramaturgin bezeichnet – das überließ sie ihren Nachfolgerinnen, in Berlin etwa Christiane Theobald und Adolphe Binder, in München Bettina Wagner-Bergelt, in Stuttgart Vivien Arnold, in Hamburg Telse Hahmann und in Hannover Anja von Witzler. Ich weiß nicht, was für eine Berufsbezeichnung in ihrem Pass steht. Performerin? Eigentlich erstaunlich, dass keine unserer großen Ballettkompanien außer Hamburg an ihrem ungeheuren Erfahrungswissen partizipiert hat. Einzig Heinz Spoerli in Düsseldorf und Zürich hat sie wiederholt als dramaturgische Beraterin an seinen Balletten beteiligt. Merkwürdig auch, dass es keine Männer von ihrem Format unter den Ballettdramaturgen gibt. Da hat Köllinger keinen Nachfolger gefunden. Könnte es sein, dass die männlichen Dramaturgen keine oder doch zu wenige Chancen einer wirklich kreativen Zusammenarbeit mit den autoritativen Choreografen sehen und deshalb – etwa in München und Wien – lieber in die Nachbarabteilungen für Kommunikation und Publizistik abgewandert sind? Immerhin hat es bei der „Tanzplattform Deutschland“ zu Beginn des Jahres in Stuttgart ein reich frequentiertes Seminar „Tanzdramaturgie“ gegeben. Es bleibt abzuwarten, ob von dort der Tanzszene wirklich neue Impulse zugeflossen sind. Fast dreißig Jahre nach der Stuttgarter „Kameliendame“ steht der Name Angela Dauber noch immer als herausragender Gipfel in der dramaturgischen Gebirgslandschaft der deutschen Ballettszene.

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