Reger Austausch zwischen Theorie und Praxis

Heute beginnt der TaMeD-Kongress in Stuttgart

Stuttgart, 26/05/2006

250 bis 300 Teilnehmer werden von heute bis Sonntag zum VIII. Symposium der Tanzmedizin in Stuttgart erwartet, unter ihnen 42 Referenten, die meisten aus Deutschland, aber auch viele internationale. Sie bestreiten 20 Vorträge, 25 Workshops und drei Arbeitskreise. Sechs der urspünglich vorgesehenen Referenten mussten leider absagen, wurden aber durch Vertretungen ersetzt. Die Gäste, Vortragenden und Workshop-Leiter sind bunt gemischt: Orthopäden und Allgemeinmedinizer, Physiotherapeuten und Masseure, Tänzer und Choreografen. Genau diese Mischung, die Betrachtung aus allen möglichen Blickwinkeln und der rege Austausch zwischen Theoretikern und Praktikern mache die offene, lebhafte Atmosphäre des Kongresses aus, betonten bei der Pressekonferenz zu Beginn des Kongresses die TaMeD-Vorsitzende Liane Simmel, der Stuttgarter Organisator Richard Gilmore, Masseur beim Stuttgarter Ballett, und der niederländische Tanzmediziner A.B.M. Boni Rietveld von der weltweiten Tanzmedizin-Organisation IADMS. Beim letzten TaMeD-Kongress in München wurde zum ersten Mal mit einer großen Ballettkompanie zusammengearbeitet, jetzt findet der Kongress in Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Ballett in den Räumen des Kammertheaters statt, die in der neuen Staatsgalerie liegen, genau gegenüber dem Stuttgarter Opernhaus. Der Titel „Rückgrat zeigen“ solle durchaus doppeldeutig verstanden werden, so sagte die Stuttgarter Autorin Maja Langsdorff bei der Pressekonferenz: steht aus medizinischer Sicht der Rücken im Mittelpunkt, so sollen den Tänzern auch in jeglicher anderer Hinsicht vermittelt werden, „Rückgrat zu zeigen“, zum Beispiel beim Kampf um verletzungsvorbeugende Arbeitsbedingungen als auch bei der Transition, dem Übergang in einen anderen Beruf nach ihrem Tänzerleben. Für Liane Simmel ist es wichtig, beim TaMeD-Kongress „das medizinische Wissen auf einen solchen Punkt zu bringen, dass es jeder verstehen kann“, das heißt die wissenschaftliche Erklärung so nahe wie möglich an den Tänzer heranzubringen. Es gehe außerdem darum, den Tänzern durch eine speziell auf ihre Körper abgestimmte Medizin die Angst vor den Ärzten zu nehmen, weil ihnen von „normalen Ärzten“, so Simmel, meistens nur gesagt werde, dass sie durchs Tanzen ihren Körper kaputtmachen. Sie skizzierte kurz die Geschichte der Tanzmedizin in Deutschland, die in der ehemaligen DDR sehr viel weiter war als in der Bundesrepublik, und erzählte von den Anfängen von TaMeD e.V. - die deutsche Tanzmediziner-Vereinigung wurde während einer Tagung der IADMS, der International Association for Dance Medicine and Science, von sieben Deutschen in einem Londoner Pub gegründet. Boni Rietveld, der im nächsten Jahr Vorsitzender der IADMS werden soll, lobte den deutschen Verein; es gebe noch nicht allzu viele Länder, die eine so gut organisierte Tanzmedizin haben. „Tänzer sind wunderbare Patienten“, so der Mediziner Rietveld. In Deutschland haben im Augenblick nur die vier großen Kompanien in Berlin, Hamburg, München und Stuttgart festangestellte Masseure, Physiotherapeuten oder Pilates-Trainer; die kleinen Kompanien können sich diesen Personalaufwand meist nicht leisten, arbeiten aber oft fest mit Masseuren zusammen. Richard Gilmore berichtete von einer Studie beim Boston Ballet, in der sich erwiesen habe, dass die Ausgaben für das Ersetzen verletzter Tänzer die Ausgaben für einen Physiotherapeuten oder Masseur bei weitem übersteigen. Dennoch liege die Zusammenarbeit mit Masseuren immer noch stark im persönlichen Ermessen der jeweiligen Ballett- und Tanzdirektoren.
Gesprochen werden soll beim TaMeD-Kongress auch über die Verletzungs-Prävention - Gilmore, Simmel und Rietveld zählten alle möglichen Gründe für Verletzungen auf, so schlechte Tanzböden, fehlende Lichtproben und infolgedessen geblendete Tänzer, zu schwere Kostüme (zum Beispiel im Musical „Der König der Löwen“), zu laute Beschallung aus den Lautsprechern bei fehlendem Orchester usw. Ein wichtiger Grund für Verletzungen, so Liane Simmel, sei das zu wenig abgestimmte Training: in den großen Kompanien wird heute „Dornröschen“ und morgen Forsythe getanzt, aber das Training sieht jeden Morgen gleich aus. Kompanien mit einem einzigen Stil, einem einzigen Choreografen böten vielleicht weniger Abwechslung im Programm, seien aber weniger verletzungsanfällig. Das nächste, neunte Tanzmedizin-Symposium soll im nächsten Jahr in Basel stattfinden, und zwar unter dem Titel „Nervensache Tanz“ (oder englisch „The Nerve to Dance“).

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