Rangkämpfe auf steinigem Grund

Martin Stiefermanns „Wahllos“ im Dock 11

Berlin, 01/05/2006

Eine lichtumrandete Schotterfläche dominiert den Spielort im Dock 11. An drei Seiten sitzen die Zuschauer, auf der vierten lümmeln sieben Darsteller unruhig herum, blicken provokant ins Publikum. Lange pendeln sie zwischen der steinigen Arena und ihren Stühlen, winken und locken ins Zusehvolk, watschen sich in Trance. Ein Mann streift der Auserwählten einen roten Lackschuh über, der sie rutschend über das Kleingestein treibt. Als sich die Tänzer aus dem Pulk gegenseitig wegzudrücken suchen, siegt der Stärkste.

Martin Stiefermanns Tanzstück „Wahllos“ schickt seine Gruppe MS Schrittmacher in einen Auswahlkampf. Täglich gelte es, Entscheidungen für oder gegen jemanden zu treffen, mit Gewinnern und Verlierern. Diese Mechanismen will der Choreograf sichtbar machen. Glenn Brancas hämmernde Symphonie No.6 treibt die Bewerber dabei zu besinnungslosen Höchstleistungen an. Eine Frau zerstört, rücksichtslos einspringend, bestehende Paarformen, ein Mann muss sich mit hängenden Socken über den Ohren als Esel, eine Frau mit roter Nase als Clown bewähren. Nach einem Heb-Sturz-Exzess verbeißt sich das Septett in den ausgezogen verknoteten Hemden. Eine Frau spuckt ihre Rivalen von der Fläche.

Das Spiel, mit ausgestreckten Armen schwere Steine zu halten, ergibt einen Gewinner. Der darf erst mit rhythmischen Schlägen aufs Mikrofon alle dirigieren und dann vorschreiben, was jeder tun soll: Hemd lüpfen, Posen einnehmen, Grimassen schneiden. In Sexgruppierungen mit oralen Fantasien kulminiert der Taumel um Sieg oder Niederlage. Ein Mann wird zum Hündchen, das eine Frau peitscheschwingend reitet. Ein anderer muss die Hose fallenlassen, seinen Slip mit Teufelsfratze zeigen. Als sich Frauen am Haar über die Szene zerren und die Toberei in Wrestling auszuarten droht, fallen verpackte Steine an Strippen von der Decke und beenden drohend den würdelosen Wettbewerb.

Auch wenn der finale Steinschlag als kritischer Kommentar zu medialen Auswüchsen deutbar ist, auch wenn die Tänzer bis zur Selbstaufopferung agieren – Originalität, Dichte, Humor seiner frühen Arbeiten erreicht Stiefermann mit diesen 75 Minuten Ausgrenzungskoller nicht. Ab neuer Saison, wenn sein Vertrag mit dem Theater Oldenburg endet, wird man ihn wieder öfter in Berlin erleben können.

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