Das organische Mal
Lea Moros „(b)reaching stillness“ beim Impulstanzfestival Wien
Da gab es nach der Premiere von Edouard Locks „Amjad“ mit den La la la Humans Steps zwei Parteien im Burgtheater: Die Eine mit langem Gesicht, aus dem gar ein Gähnen entwichen war. Die Andere anfangs irritiert, dann zunehmend überzeugt, der späten Geburt eines Choreografen im klassischen Sinne beigewohnt zu haben.
Was war geschehen? Edouard Lock, berühmt geworden für seine akrobatische, wilde Körpersprache, die einer neuen Generation Wegweiser war, hat sich zunehmend dem klassischen Ballett verschrieben. Als er das erste Mal mit Tänzerinnen im Spitzenschuh experimentierte, wirkte das seltsam roh und unbeholfen. In „Amjad“ aber weiß er haargenau, wie er mit dieser Körpersprache gewandt-erfindungsreich umgehen kann.
Wenn man gewillt ist, seine außerordentlichen Tänzerinnen (eindrucksvoll Xuan Cheng und Andrea Boardman) und Tänzer genau zu beobachten, wird man eine ungemein dichte Sprache finden, die sich aus einem Bilderreichtum zusammensetzt. Edouard Lock erzählt auch dieses Mal keine linearen Geschichten. Er schreibt vielmehr den klassischen Tanz fort, in dem er Versatzstücke aus den Tschaikowsky-Petipa-Balletten „Schwanensee“ und „Dornröschen“ in eine ästhetische Gegenwart transformiert: temporeich, scheinbar kühl, hart und ohne Emotion. Letztlich erreicht er bei all den bekannten Schwanen-Gesten und dem wiederholten pantomimischem Weinen einen ungeheuren Grad an Abstraktion. Frau-Mann und Mann-Mann-Duos werden virtuos durchgespielt. Herausragend ein Pas de trois mit Domonic Santia.
Die 100 Minuten auf schwarzer Bühne, die vier Musiker (Klavier, Cello, zwei Violinen) kaum sichtbar, sind eine wohldurchdacht aufgebaute Tanz-Partitur, die der Komplexität zeitgenössischer Musik verwandt ist. Das Interessante daran ist, dass die eher bescheiden wirkende Komposition von Gavin Bryars und David Lang mit Tschaikowsky-Motiven den Tanz illustriert und nicht umgekehrt. Filmzuspielungen, über die man lustvoll philosophieren kann, strukturieren den Abend.
Mit freundlicher Genehmigung des Kurier
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