Eine freundliche Übernahme an der Ballettakademie München

Konstanze Vernon übergibt die Direktion an Robert North

oe
München, 04/11/2007

Gäbe es in der Regensburger Walhalla ein Kabinett für die großen deutschen Ballettfrauen, würde ich für Konstanze Vernon als nächste Kandidatin plädieren. Sie würde dann dort an der Seite von Tatjana Gsovsky, Yvonne Georgi und Marcia Haydée Aufnahme finden (denn Wigman und Palucca, auch Bausch, hatten, beziehungsweise haben ja mit dem Ballett wenig im Sinn). Und dabei denke ich im internationalen Vergleichsrahmen etwa an Waganowa in Russland und an Ninette de Valois und Marie Rambert in England). Ehre, wem Ehre gebührt! Der Gedanke kam mir jetzt bei der jüngsten Ballett-Matinée der Heinz Bosl-Stiftung mit Studenten und Schülern der Ballett-Akademie der Hochschule für Musik und Theater im Münchner Nationaltheater anlässlich der Übergabe der Direktion von Konstanze Vernon an Robert North.

Ich kenne Konstanze Vernon bereits aus der Zeit, als sie noch Konstanze Herzfeld hieß und im Berliner Studio von Tatjana Gsovsky in der Fasanenstraße an der Stange stand. Aber Herzfeld für eine angehende Ballerina? Das war aus Tatjanas Sicht ein unmöglicher Name, mochte ihr Vater auch ein noch so prominenter Berliner Musikkritiker sein. Und so wurde sie, die ja auch in Paris bei Nora Kiss und Serge Peretti studiert hatte, anlässlich ihres Debuts als Fünfzehnjährige 1954 an der damals noch Städtischen Oper in Berlin kurz entschlossen umgetauft und hieß von nun an Vernon – klingt ja auch viel schicker, fast so toll wie die sechs Jahre ältere Violette Verdy (die ja auch nicht als solche geboren wurde, sondern schlicht Nelly Guillerm hieß). Es ging dann rasch aufwärts mit ihrer Karriere, schon in Berlin, wo sie noch an dem inzwischen zur Deutschen Oper Berlin avancierten Haus Solistin wurde, bevor sie 1962 als Erste Solistin und schließlich Primaballerina an die Bayerische Staatsoper nach München ging.

In den fünfundvierzig Jahren, die seither vergangen sind, wurde sie zu einer Münchner Institution – sozusagen zur First Lady des Münchner Balletts, als Ballerina an der Seite ihres Traumpartners Heinz Bosl, dem zu Ehren sie nach seinem allzu frühen Tod 1978 die Heinz-Bosl-Stiftung zur Förderung des tänzerischen Nachwuchses gründete. Sie wurde zur Basis der Schule, die sich bald zur Akademie mauserte und in die Hochschule für Musik und Theater integriert wurde, wie unter ihrer Leitung 1988 aus dem Staatsopernballett das Bayerische Staatsballett wurde. So erweiterte sich Jahr um Jahr der Kreis ihrer Aktivitäten, erst als Ballerina, dann als Direktorin und auch als Pädagogin, die als Jurorin internationaler Wettbewerbe bald in der ganzen Welt gefragt war. Demnächst sind es bereits wieder zehn Jahre, dass sie die Leitung des Staatsballetts an Ivan Liška übergeben hat – ein Übergang, so ruhig und unaufgeregt wie jetzt die Übergabe der Direktion der Akademie an Robert North, der schon ein paar Mal in den vergangenen Jahren an der Schule gearbeitet hat und als weiterhin aktiver Choreograf dafür sorgen soll, dass die kreativen Kräfte neuen Auftrieb erhalten.

Es ist ein grundsolides Imperium, das sie an ihre Nachfolger übergeben hat – und das umso größere Bewunderung verdient, da es den widrigsten lokalkulturpolitischen Umständen förmlich abgetrotzt werden musste (die eigentliche „große“ Politik hat ihr da noch die wenigsten Schwierigkeiten bereitet). Wer die publizistischen Scharmützel verfolgt hat, die diese Arbeit begleitet haben und noch immer für neuen Zündstoff sorgen, kann sich vorstellen, welch eine Zähigkeit und Beharrlichkeit nötig waren, um sich einen derartigen internationalen Ruf zu verschaffen, wie ihn die Akademie heute überall in der Welt genießt.

Und diesen Eindruck hatte man jetzt auch bei der jüngsten Matinée der Heinz-Bosl-Stiftung am Sonntagmorgen im ausverkauften riesigen Nationaltheater. Eine Stimmung, die signalisierte, wie stolz München auf seine „Bosls“ ist. Die denn auch ihrem Ruf alle Ehre machten, mit einem Programm, das bewies wie exzellent heutzutage an diesem Institut gearbeitet wird. Und so erinnerte man sich bei dem an den Anfang gestellten ersten Satz von Balanchines „Serenade“, einstudiert von der Balanchine-Expertin Brigitte Thom, daran, wie dieses Ballett 1934 ursprünglich als Visitenkarte für Studenten der neu gegründeten School of American Ballet kreiert worden war, und wie aus den blutjungen Tänzerinnen von damals dann die exquisiten Profis des New York City Ballet geworden sind, und wie hoffentlich in kommenden Jahren aus den heutigen neunzehn bayerischen Jungakademikerinnen und ihren bereits zu Solistinnen promovierten drei Kolleginnen einmal die arrivierten Tänzerinnen werden, die als Mitglieder unserer großen Kompanien im internationalen Wettstreit die „Münchner Schule“ vertreten werden.

Wainones „Nußknacker“-Pas-de-trois sodann: eine artige Nettigkeit für die Jüngsten der Jungen (und den Stolz ihrer Eltern). Gewichtiger die drei Paare in Jiří Kylián „Evening Songs“ zu Dvoráks stimmungsträchtigen Liedern – herbstliche Elegien, leicht folkloristisch timbriert, so gar nicht bajuwarisch auftrumpfende Oktoberfest-Wies‘ngaudi, sondern herzerwärmend schüchterne Anbandelungsversuche. Auch das tanzten die Junioren mit einer schönen Hingabe, sich offensichtlich bewusst, was für eine choreografische Delikatesse ihnen da der Meister aus Holland überlassen hat (der seinerseits noch einen extra Tropfen Herzblut dieser Huldigung an seinen großen Landsmann beigemischt hat).

Zum Schluss dann der längst in diesem Rahmen Klassikerstatus erlangt habende „Kadettenball“ von David Lichine, an dessen Münchner Anciennität nicht zuletzt die Fotos im Programmheft mit dem unverwüstlichen Michel de Lutry erinnerten. Ich muss gestehen, dass auch ich vor ungefähr einem halben Jahrhundert davon begeistert war, als ich ihn erstmals beim damaligen Londoner Festival Ballet sah (mit dem gerade zwanzigjährigen Flemming Flindt als Trommler). Heute finde ich in diesem Ballett aus der Hinterlassenschaft der Ballets Russes alle Untugenden versammelt, die die Verächter des klassischen Balletts ins Feld führen, wenn sie die ganze Gattung der Lächerlichkeit überantworten: sein zickig-affektiertes Gehabe, seine aufgeregte Pseudo-Echauffiertheit, sein grimassierendes Fratzenschneiden – und am meisten stören mich die Knallchargen der Rollen der en travestie gemimten Gouvernante und des Generals.

Ich kann nicht verstehen, wie moderne Pädagogen ihren Zöglingen derartig abgeschmackte und geschmacksverderbende Aufgaben stellen. Die sie mit Hingabe und offensichtlichem Spaß ausführen – wie auch jetzt wieder in München – und zum eindeutigen Vergnügen des Publikums. Und die sie, wie ich meine, für ihr ganzes professionelles Leben schädigen. So dass man dem neuen Direktor zurufen möchte: entsorge das Repertoire endlich von diesem Ballettklamauk und choreografiere für die Youngsters etwas, was ihnen ebensolchen Spaß bereitet, ohne sie zu Opfern derartiger Geschmacklosigkeiten zu machen! Und die nächste Kandidatin fürs Ballettkabinett der Walhalla? Ich tippe auf Birgit Keil!

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