Grenzgängerisch
Das Rodeo-Festival der Münchner freien Szene
Johannes Härtl gehe es nicht in erster Linie darum, sich mit seinen eigenen tänzerischen Ideen und Formenvokabular auseinander zu setzen – so heißt es im Programmblatt von „Ego, fertig, los!“ Die Debutproduktion des jungen Tänzers und Choreographen im i-camp zeigte dennoch, wo die Reise mit Härtl in Zukunft hoffentlich hingeht: In die spannende Welt der Duette von Mann und Frau, und ins Reich der wirkungsvollen Gruppenszenen.
Zunächst einmal gibt Härtl seinen drei Tänzerinnen aber viel Raum für Eigenes. Schließlich geht es in „Ego, fertig, los!“ um die Suche nach dem wahren Ich, nach ehrlichen, befreiten Momenten auf der Bühne. Die darf und muss jede alleine suchen, und dabei kommen wunderbare Soli zutage: In konzentrierten, figurativen Bewegungen entwickeln Ulrike Etzold, Marie Preußler und Or Yaniv sich weg vom alltagsdiktierten „Ich, Du, Sie, Äh, ja?“-Gepose hin zu natürlich gewachsener Körpersprache. Die eine exponiert dabei ihre geliebten Beine und Füße, die andere lässt die weichsten Winkel der Extremitäten tanzen. Alles ist möglich. Zu solcher Selbstbefreiung kommen die Protagonistinnen aber nur, indem sie sich zuvor von anderen Ichs emanzipieren, und hier spielt Härtl die Hauptrolle. In gefühlvollen Duetten bringt er die dunklen Seiten der Mädchen – ihre Platzangst, Bindungsunfähigkeit oder Dominanz – zutage.
Bemerkenswert sind vor allem die Szenen mit Preußler. Auf einem Würfel im Hintergrund sitzend nimmt ihr Charakter zunächst die Nähe des vor ihr stehenden Partners (Härtl) an, gibt dann aber dem übermächtigen Drang nach, sich von seiner Umarmung befreien zu müssen: Sie will ihre Kleider los werden, kämpft sich in die Bühnenmitte, landet dabei mit dem Kopf an der Wand. Beeindruckend, wie Härtl sie dann doch noch in einen intensiven Pas de Deux verwickelt. Eine Zweierbegegnung, in der der Streit nie ganz zuende ist, in der die selbstbewussten Körper aber aus den unerwartetsten exzentrischsten Wendungen immer wieder zueinander und ineinander finden.
Sie sind gleichzeitig „Ich“ und „Wir“ – man wünscht sich, der Kompromiss zwischen Mann und Frau möchte immer so großartig aussehen. Dass Härtl über den Tango zum zeitgenössischen Tanz fand, ist auch an den anderen Duetten erkennbar. Immer bedeutet ihm Zweisein auch Kampf, manchmal leider auch etwas banal. Das Motiv „Aktive Tänzerin versucht leblosen, passiven Tänzer auf die Beine zu bringen“ ist beispielsweise einfach zu alt, um noch zu berühren. Szenen wie diese offenbaren auch die strukturelle Schwäche des Erstlingswerks: Es wirkt manchmal ein wenig, als hätte man mit todsicheren Tricks noch die dreiviertel Stunde voll machen wollen. Auch das Ende ist sehr abrupt.
Alles in Allem jedoch macht Härtls unbeschwertes, klares Tanzverständnis einfach Spaß. Zu Anfang etwa vollziehen die drei Frauen im Wettstreit der Körper-Ichs eine Art Flashdance zu Discobeats. Sprünge, Rollen und plakative Arabesken versprühen angenehme Ironie, verschonen den Betrachter aber mit einer Überfracht an Kritik an was auch immer. Bei Härtl bekommt der Zuschauer das, was er sieht. Seine Choreographie ist keine fleischgewordene Theorie, und sie zwingt nicht dazu, eine bestimmte Position zum auf der Bühne Manifestierten einzunehmen. So schenkt Härtl auch dem Zuschauer Freiheit, und vor allem dem Tanz.
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