Giuliana Penzi Tanzpreis
Ballettpädagoge der John Cranko Schule ausgezeichnet
Da muss eine Amerikanerin kommen, um dem Stuttgarter Opernhaus diesen historischen Spiegel vorzuhalten. Einfühlsam und sehr bewegend erinnert die Choreografin Bridget Breiner in ihrem Ballett „Zeitsprünge“ an den zweiten Weltkrieg und an die Stuttgarter Künstler, die trotz Nazis und Bombenhagel unerschütterlich weiter arbeiteten. Nach der Aufführungsserie vom November im Kunstmuseum, wo die Schüler der John-Cranko-Schule durch die Ausstellung von Willi Baumeisters Bühnenbildern tanzten, ist das Stück mit der spätromantischen Musik von Otto-Erich Schilling (noch so eine Reminiszenz an die Stuttgarter Ballettgeschichte) nun auf der Bühne des Opernhauses angekommen, dem zweiten Schauplatz seiner Erinnerungen.
Breiner hat einige Teile neu choreografiert, weiter klingen die Texte der beiden Zeitzeuginnen herein: Felicitas Baumeister, die Tochter des Künstlers, erzählt vom Berufsverbot ihres Vaters, die Stuttgarter Choreologin Georgette Tsinguirides lief als junge Ballettschülerin nach jedem Bombenangriff zum Theater um zu sehen, ob es noch steht. Wieder erzählen die fast vierzig Kinder und Jugendlichen tanzend von Krieg, Leid und vor allem von Hoffnung, zum Teil in Baumeister-Kostümen und vor einem großen Vorhang nach seinen Entwürfen. Noch immer feiert am Schluss der kleine Junge in seinem übermütigen Solo das Ende des Krieges - „Die Kunst war immer da“, sagt Georgette Tsinguirides. Das mag insgesamt alles nur halb so schön wirken wie in der atmosphärischen, weiten Architektur des Kunstmuseums, aber selbst das reicht noch für ein kluges und doch rührendes, ja manchmal herzzerreißendes Stück, so gut sind Bridget Breiners Ideen.
Und so ausdrucksvoll sind ihre Interpreten zwischen acht und achtzehn Jahren. In Hans van Manens „In and out“ präsentieren sich die Schüler der beiden Akademieklassen dann cool und sexy, als aufsässige Truppe voll Ironie und rebellischem Geist. Elegant spielt van Manen mit den Rollenklischees – die Mädchen schubsen die Jungs herum, alle zusammen hängen sie in drei engen Aufzugkabinen ab. Ein erfrischend direktes Stück, das die jungen Balletttänzer einmal nicht als gelehrige, folgsame Schüler, sondern als eigenwillige Typen voll Charakter zeigt.
Wieder ist die Aufführung der John-Cranko-Schule einer der heimlichen Höhepunkte der Spielzeit beim Stuttgarter Ballett. Das Programm von Schuldirektor Tadeusz Matacz zeigt Dramatisches, Ironisches und zum Schluss die alles entscheidende Grundlage, die abstrakte, reine Technik. Von den knapp einstündigen „Etüden“, dem großen Ballett aller Pädagogen für ihre ganze Schule, gehen wieder einmal die letzten zehn Minuten im begeisterten Jubel unter, gekrönt vom hoch fliegenden, glänzend sicheren Norbert Lukaszweski als Star der diesjährigen Abschlussklasse – der Pole gewann Anfang des Jahres den Youth America Grand Prix, einen der wichtigsten Wettbewerbe für junge Tänzer. Gemeinsam mit sechs weiteren Absolventen wird er als Eleve zur Stuttgarter Kompanie übernommen, die, was die Attraktivität der Programmzusammenstellung angeht, nun bald Konkurrenz von ihrer eigenen Schule befürchten muss.
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