Erinnerungen an Rosella Hightower

Auf dem letzten Foto, wohl im Herbst aufgenommen, wirkte sie bereits wie der Welt abhandengekommen – so schmal und – diaphan, was so viel wie durchscheinend, durchsichtig bedeutet, und kein anderes Wort beschreibt ihre Erscheinung so exakt. Es war das Endstadium ihrer Alzheimer-Erkrankung und stand so sehr im Gegensatz zu der Rosella Hightower, wie sie mein Gedächtnis bewahrt. Denn dort lebte sie weiter fort als eine der virtuosesten Ballerinen, die mir je begegnet sind – zuerst in den fünfziger Jahren in Berlin, bei den Gastspielen des Grand Ballet du Marquis de Cuevas, dann, nach seinem Tod, bei vielen anderen Kompanien. Auch in Stuttgart, wo sie 1977 „Dornröschen“ einstudierte – aber da tanzte sie schon lange nicht mehr (außer als Maude in einer Produktion von „Harold et Maude“).

Aber am lebhaftesten ist die Erinnerung an einen Weihnachtsbesuch in Cannes, wo sie damals noch ihre in aller Welt berühmte École supérieure de danse leitete – das dürfte Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre gewesen sein. Ist mir unvergesslich, weil wir am Heiligabend Lunch im Garten aßen, das war bei den Braunschweigs. Am ersten Feiertag waren wir dann wieder zusammen, bei der Verteilung der Geschenke – ich glaube, das war auch eine meiner ersten Begegnungen mit Patsy Kuppe-Matt. Später hörte ich dann immer wieder von ihr durch Fred Marteny, der regelmäßig an ihrer Schule unterrichtete – und dem ich auch das letzte Foto von ihr verdanke. Sein Brief vom Ende September erinnerte noch einmal an die vielen Ballettpersönlichkeiten, die bei ihr aus- und eingingen, an José Ferran, an Jimmy Urbain, Titus Ponsar, Arlette Castanier, die eine große Freundin von Erik Bruhn war (den ich eigentlich zu seinem 80. Geburtstag am 3. Oktober hatte feiern wollen), an Frederic Olivieri, der dann Direktor des Scala-Balletts wurde, an … an … an …