Abschied

Zur Einstellung des englischen „dance now“-Magazins

oe
Stuttgart, 12/01/2009

Wie viele Tanzzeitschriften habe ich nicht im letzten halben Jahrhundert kommen und gehen sehen! Doch die Einstellung des englischen „dance now“ finde ich besonders schade. Eigentlich hätte dieses kj mit einem schwarzen Trauerrahmen erscheinen müssen. Doch dazu muss ich etwas weiter ausholen – nämlich bis ins Jahr 1956. Damals absolvierte ich, gerade mal 29 Jahre alt, meinen ersten London-Besuch – das war im Mozart-Jubiläumsjahr, und da stand auch Glyndebourne auf dem Programm (für das ich mir ein erstes und einziges Mal einen Smoking lieh – ich besitze bis heute keinen).

Zu den ersten Londoner Pflichtterminen gehörte auch eine Stippvisite im Buchladen von Cyril W. Beaumont in der Charing Cross Road. Er war einer der fleißigsten unter den Schreibenden der Ballettzunft, dessen Anfänge bis in die Diaghilew-Ära zurückreichten, und die Bände seines „Complete Book of Ballets“ waren unsere Bibel. Ein Buchladen? Eine Spelunke – verräuchert, vollgestopft mit antiquarischen Titeln – und entsprechendem Geruch. Ich hatte gerade in Berlin in der Welt zu schreiben begonnen und bei Kurt Peters im Tanzarchiv. Und dies waren lauter Erstbegegnungen: in Covent Garden mit dem damaligen Sadler's Wells Ballet, mit den Werken von Ashton, Cranko und MacMillan, auch mit den Cranko-Revuen (die mir mächtigen Eindruck machten) – und mit den englischen Kollegen, von denen ich mit einigen auf Anhieb konnte – und mit den anderen, wo es nicht so gut klappte (zu denen gehörte Mary Clarke von der „Dancing Times“, mit der mich bis heute eine herzliche Antipathie verbindet, da sie mir nicht vergeben konnte, dass ich als Deutscher – für sie vermutlich ein Ex-Nazi – es wagen konnte, DAS englische Ballettlexikon zu verfassen).

Zu den Freunden gehörten von Anfang an die vier von „Dance and Dancers“, Peter Williams als Chefredakteur und Herausgeber, Clive Barnes und John Percival sowie Noel Goodwin als Musikmann. Die luden mich gleich als Deutschland-Korrespondent ein, und für D & D habe ich dann ja auch jahrelang berichtet – und deren Ende in den neunziger Jahren war eine meiner schmerzlichsten Erfahrungen (genau wie später der von mir herbeigeführte Abbruch meiner Beziehungen zur „Stuttgarter Zeitung“ nach fast fünfzigjähriger, ausgesprochen freundschaftlicher Zusammenarbeit, als ich das Gefühl hatte, dass die neue Redaktion mich einfach loswerden wollte). Doch zurück zu London – nach den Bemerkungen, wie sehr mir an einer langjährigen, freundschaftlich-kollegialen Zusammenarbeit gelegen ist (auch, beispielsweise, mit dem amerikanischen „Dance Magazine“ und dem „Dance Chronicle“) – und, natürlich, mit meinen beiden Ladies (und nicht etwa Ladys) vom „tanznetz“).

Als Beaumont dann seinen Laden schloss, eröffnete nicht weit davon in Cecil Court der Ballet Book Shop von John O'Brien (der sich später sehr für Martha Graham einsetzte und Mitbegründer des London Contemporary Dance Theatre wurde), mit dem noch sehr jungen David Leonhard als Kompagnon. Zusammen schafften es die beiden in ziemlich kurzer Zeit, ihren Shop zur ersten Ballett-Buchhandelsadresse in der Welt zu machen (in Paris gab es noch eine Rivalin: Gilberte Cournand). Hinfort kein Besuch in London mehr ohne Besuch in ihrem kleinen, aber feinen Laden, gleich um die Ecke vom Coliseum, in dem heute die English National Opera residiert. Dort traf man immer irgendeinen Promi aus der Ballettwelt oder einen Fan aus aller Herren Länder.

1992 gründete David Leonard dann zusammen mit Sanjoy Roy „dance now“ als Vierteljahresschrift, die sich rasch als ambitionierteste und intellektuell profilierteste unter den englischsprachigen Tanzzeitschriften einen Namen machte. Im letzten Jahr kamen dann Gerüchte auf, dass die beiden Herausgeber (zu Leonard hatte sich Allen Robertson als Vize gesellt) ihren Job aufgeben wollten – und das haben sie nun auch mit ihrem letzten Heft, der Ausgabe Winter 2008/09 als Vol. 17, No. 4, getan – mit der simplen Erklärung „both of the editors have reached retirement age … and decided that we need to spend more time with our families.“ Woraufhin ich nur stoßseufzen kann: What a pity indeed!

Auch ohne jeglichen Anspruch, zur internationalen Elite der Tanzzeitschriften zu gehören, macht das letzte Heft nochmals deutlich, worauf wir in Zukunft verzichten müssen. Das bloße Inhaltsverzeichnis allein lässt einem das Wasser im Munde zusammenlaufen: da ist Debra Craine mit ihrem sehr kritischen Kommentar über den letzten Besuch des Mariinsky-Balletts in London, Jann Parry schreibt über die jüngsten Premieren von Christopher Wheeldons „Morphoses“, Allen Robertson über Wayne McGregor, Deborah Jowitt über José Limón, Donald Hutera über Akram Khan und Juliette Binoche, Nancy Goldner über Balanchines „Mozartiana“, Sanjoy Roy über die jüngsten Steve-Reich-Kreationen von Anne Teresa de Keersmaeker – und, als ob ich's persönlich in Auftrag gegeben hätte, Ismene Brown über Ekaterina Maximowa und Vladimir Vasiliev (mein Traumpaar seit Köln in den sechziger Jahren), und Marc Hagemann steuert ein ausführliches Interview mit Alexei Ratmansky, dem neuen Künstlerischen Direktor des American Ballet Theatre, bei. John Percival würdigt Antony Tudor anlässlich seines bevorstehenden hundertsten Geburtstags und David Vaughan – wie denn auch nicht – schreibt über Merce Cunningham.

Das ist nur eine kleine Auswahl – und ich wüsste keine deutsche, österreichische, Schweizer, französische, italienische oder amerikanische Tanzzeitschrift zu nennen, die mit einem so hochkarätigen Autorenteam aufwarten könnte. Und wenn die beiden Herausgeber versichern, wie sehr sie „the contacts with our writers and readers“ vermissen werden und hoffen, „you and they will miss us also“, kann ich darauf nur antworten: „yes, I certainly do!“ Link: www.dancebooks.co.uk

 

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