Das Ende eines prallen Lebens

Les Ballets C de la B nehmen im Hebbel am Ufer mit „Ashes“ die Angst vorm Tod

Berlin, 02/11/2009

Eine Prise Alain Platel, nun ja. Auch andere Choreografen haben sich von ihrem Meister anregen lassen. In jedem Fall ist Koen Augustijnen mit acht Tänzern, zwei Sängern und fünf Musikern ein so spannendes wie bewegendes Stück Tanztheater gelungen, das lange im Betrachter fortwirkt. „Ashes“ arbeitet nach Augustijnens eigener Aussage den Tod seines Vaters auf, bettet ihn indes in größere, weitere Zusammenhänge und entkommt so privater Trauerbewältigung. Das Leben allgemein ist Thema des Abends, mit seinen Facetten und Schattierungen, zu denen auch Sterben gehört. Wie leicht der Choreograf das Sujet verhandelt, wie dicht er die Szenen fügt, wie er Kontraste zu setzen weiß, macht ihn zum Hoffnungsträger belgischer Theatertradition, auch wenn manches an Platels „Iets op Bach“ erinnert, selbst vom Bühnenaufbau her. Jean Bernard Koemans Architektur besteht links aus einem schräg stehenden Flachschuppen, an den sich in zwei Etagen ein Haus mit Gitter vorm Dach und zahlreichen erklimmbaren Vorsprüngen anschließt. Heller Würfelputz macht die Dekoration unwirklich wie im Traum.

Vereinzelt stehen Menschen in der von einer Straßenleuchte matt erhellten Leere des Raums. Dann stürzen sie krachend zu Boden, schrauben sich in Schulterstand, ächzen. Nur ein Mann mit Bart bleibt starr. Aus dem Zusammentreffen Fremder entwickelt sich zu nicht näher bezeichneten Arien Händels ein Miteinander und Nacheinander vielfältiger Beziehungen, die von Freude und Heiterkeit, aber auch den Beschwerlichkeiten unseres Alltags erzählen. Freilich ist Händels Musik, instrumentiert hier mit Violine, Cello, Laute, Akkordeon, Percussion und Marimba, verfremdet, hat manchmal Tangoanklang. Dennoch wölbt sie sich zusammen mit dem hochdifferenzierten Gesang der Sopranistin Amaryllis Dieltiens und des Altus Steve Dugardin wie eine schützende Kuppel über allem menschlichen Tun. Zuvor klopfen sich die Männer gegenseitig die titelgebende Asche aus den Sakkos. Doch ehe wir zu Asche werden, sind wir hineingeworfen in Beziehungen. Ein Mann will dem Anderen eine Latte geben, der sie zuerst nicht mag, dann aber nicht hergeben möchte. Das Holz, zwischen die Bäuche geklemmt, wird später einem Paar zur Distanz, die ihr Zusammensein scheitern lässt. Im grandios verknoteten Solo ihrer Einsamkeit sehnt die Frau dennoch den Partner zurück. Der Bärtige übt sich in einer Sturzfolge, deren Elastizität alle infiziert, turnt übermütig auf dem Flachdach, entdeckt hinterm Dachgitter ein Trampolin, von dem aus er, den Artisten des Cirque du Soleil würdig, federnd eine wandernde Frau umspringt, dann mit kühnem Satz durch den Schornstein nach unten rutscht. Aus Passanten wird auf diese Weise eine emotional vielfältig verknüpfte Gemeinschaft. Eine Farbige setzt ihren gewaltigen Po ein, um einen Mann im Komm-Bleib-Spiel zu verunsichern, ein anderer befördert seine Partnerin durch Pusten wie ein Blatt in die gewünschte Lage. Organisch, flüssig, bisweilen akrobatisch gewagt ist der Tanz, nutzt Impulse, kennt keine Grenzen in der Nutzung des Körpers für eine bestimmte Aussage. Der Bärtige hat nach 90 Minuten sein Leben gelebt, legt sich zum Sterben, reiht sich in die Prozession ein, erbittet noch eine Zigarette. Think about yourself, have fun, tschüß, ruft er den Trauernden zu, die sich legen und, nach letztem Aufbäumen, hin und her rollend wie in getanztem Wiegenlied der Vollendung entgegenpendeln. Selbstverständlich, ohne Loslassschmerz.

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