„Es braucht viel Überzeugungsarbeit“
Johannes Bergmann im Gespräch mit Dagmar Klein
Philip Bergmann entlarvt in „… oder nicht sein (La Source)“ die Zerstörungskraft virtueller Realität
Philip Bergmanns Werke zeichneten sich bisher eher durch fernöstliche Ruhe aus. Wer ihn kennt, dürfte daher bei der Premiere seines neuen Stücks „… oder nicht sein (La Source)“ im Münchner i-camp etwas erschrocken sein. Der junge Choreograf riskierte diesmal Kopf und Kragen, um nachzuzeichnen, wie die virtuelle Realität den modernen Menschen auffrisst. Der doppelte Handlungsstrang, den er um einen Nerd auf der Suche, sowie um ein schmutziges Yellow-Press-Abenteuer schmiedet, ist teils laut und lächerlich. Er hat aber auch überwältigende Momente. Im Kapuzenpulli surft Bergmann zunächst durch die Hyperrealität. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen reckt und streckt er sich, sucht die richtige Position, steht Kopf, als ob er an den Beinen aufgehängt ist. Sein Schatten tut das allerdings nicht. Der ist entspannt wie ein „World of Warcraft“-Charakter und ästhetisch wie ein Facebookprofil. Dass es mit dem devoten User nicht gut endet, lässt sich ahnen. Er wird schon bald extrem gewalttätig, springt im Dunkeln mit bestialischem Knurren auf das Publikum los. Der Atem möchte einem stocken angesichts von so viel Aggression.
Unerträglich ist hingegen ein unglaublich lauter, hysterischer Veitstanz, resultierend aus orgastischen Pornoseufzern und Laufstegübungen. Letztlich windet sich der Nerd mit der Kapuze in verzweifelter Selbstzerfleischung am Boden und schläft als Teil der Matrix in einer Nährstoffzelle – von Bergmann ironisch als Planschbecken auf die Bühne gebracht – für immer ein. Zuvor gibt es, als starken Horroreffekt, im Dunkeln das mörderische Sausen eines Todespendels zu hören. Schwächer fällt die Nebengeschichte aus. Um sie vorzulesen, setzt sich Bergmann wiederholt unter einen „Twitter“-Baum aus Kabeln und bunten Vögeln. Zwei Brüder, ein Rapper und ein Kämpfer, ringen um eine Promitochter, jagen dann aber im Krieg gegen einander die Erde in die Luft. So lautet die aus plumpen Wortspielen und Anspielungen im Stil des Evangeliums gestrickte Handlung. Hier wäre weniger mehr gewesen. Ein Gesangsvortrag, „Right where it belongs“ von den Nine Inch Nails, rundet den Mix der Gattungen zuletzt ab. Es gibt also viel Licht und viel Schatten in „… oder nicht sein (La Source)“. Entsprechend unterschiedlich waren die Reaktionen der Zuschauer: Die einen flüchteten aus der Vorstellung, andere lachten, ein Handvoll blieb beeindruckt im Stuhl fest geklebt. Was eigentlich ein wunderbares Ergebnis ist. Etwas zu riskieren und einen Teil des Vorhabens in den Sand zu setzen ist allemal besser als 60 Minuten selbstreflexive Improvisation zu zeigen, die niemand durchschaut. So war es verwunderlich, dass Bergmann seinen Applaus nicht entgegen nahm. Er hat ihn durchaus verdient.
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