Trauer um Vivienne Newport
Tänzerin und Choreografin im Alter von 63 Jahren verstorben
Vielschichtiges Tanztheater der Company Vivienne Newport im Tresor.Modern
Die Kulisse ist atemberaubend. Was von außen wie ein in sich geschlossener, langgestreckter Kubus ausschaut, erweist sich innen als filigran gegliedertes Labyrinth aus Beton zu mehreren Etagen. 1961 wurde der Bau als Heizkraftwerk errichtet, tat dann lange Dienst, ehe der vor Jahren auf ein neues Gebäude dahinter überging. Das Altwerk wurde entkernt bis aufs massive Betonskelett und staubte vor sich hin, dann entdeckte die Kunst, immer auf der Suche nach ungewöhnlichen Spielorten, den Koloss. In den Keller zog der obdachlos gewordene Techno-Club Tresor, darüber erstrecken sich 22.000 Quadratmeter betoniertes Ödland zur Nutzung. Welche das sein wird, steht derzeit noch nicht fest. Vorerst hat die Company Vivienne Newport einen Teil des Parterre, einen Schlitz zum Keller hin sowie offene Räume im ersten Stock gemietet. „fragments of a time still passing“ zeigt sie mit fünf Darstellern auf diesen drei Etagen, lässt sie zwischen klobigen Stützen und in hallenartigen Öffnungen irrlichtern. Und hält so auch das Publikum in Bewegung, das die Aktion im Parterre verfolgt und dort von Ort zu Ort mitzieht.
Auf vorgegebenen Wegen schlängelt man sich durch den imposanten Raum, unter einem Leuchtballon von mehreren Metern Durchmesser. Zwei unterhalten sich über den Abstand zwischen verschiedenen Seiten der Empore hinweg, er schildert sein Morgenritual, sie antwortet stets „Quatsch“. „Weiße Rosen aus Athen“ singt einer. Wo Licht aufflammt, findet etwas statt. Die Wäsche ist fertig, die S-Bahn muss geschafft werden, der Hund raus, hallen weiter Belanglosigkeiten des Alltags durch das Gebäude. Von schneebedeckten Bergen, einem See und Kühen schwärmt einer, der andere behindert ihn auf seinem Gang. Ich will raus aus dem Sozialismus, tönt es. Auch im Weiteren liefert die gebürtige Engländerin Vivienne Newport, lange Protagonistin bei Pina Bausch, dann mit eigener Company im Frankfurter Theater am Turm, lediglich sekundenkurze Bildschnipsel zu einem Puzzle, dem jeder eigene Interpretation geben muss. Manche Szenen, besonders die reichlich zitierten Schlager, erinnern an die 1960er, andere wie der mehrfache Party-Taumel, das Geschwätz über den rechten Kick, Anspielungen auf Terroristen meinen das Heute.
Die Sätze „Ich bin Kommunist, weil“ und „Ich bin Kapitalist, weil“ ergänzen die Figuren mit lau subjektiven Argumenten, keine Überzeugung trägt mehr. Oft entschwinden sie in die Tiefe, tanzen hinter Betonstützen, ziehen die Aktion weit auseinander, bleiben in den Texten trotz Mikroport schwer verstehbar. Manchmal drängen sie sich in den Besucherpulk, zerteilen ihn, machen ihm Beine. Um Lebenspläne geht es, ums Kinderkriegen für Deutschland, um Beziehungen, die das Sicherheitsdenken schmiedet. Berührend gerät ein parallel geführter Dialog. Er erzählt vom Vater aus Ostpreußen, vom eigenen Besuch dort und auf dem Friedhof; sie erinnert ihre erste Liebe, zu einem Soldaten aus dem Irak-Krieg, der als Junge vergewaltigt wurde und sich deshalb zur Armee flüchtete, später Zahnarzt wurde. Solch kleiner Geschichten hätte man sich mehr gewünscht statt einer beliebigen, wiewohl soliden Montage mit ermüdendem Bedeuten-Wollen. Optimistisch endet sie nicht: im Ansturm gegen die Säulen. Das Raumerlebnis beeindruckt allemal.
12.-15., 17.-20.9., 20.30 Uhr, Tresor.Modern, Köpenicker Str. 59-71, Berlin-Kreuzberg
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