Eine Sternstunde des Theaters

„Der Rosenkavalier“: Herbert Wernicke lädt zur Visite in seine Spiegel-Galerie der Zeiten

oe
Baden-Baden, 25/01/2009

Eine Oper – genauer: „Komödie für Musik“ – die ganz ohne Tanz auskommt (obgleich doch der Walzer, eine der dionysischsten Tanzformen, das wesensbestimmendste seiner Gene ist): „Der Rosenkavalier“ von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss. Inszeniert von einem Regisseur, der vom Bühnenbild herkommt und ganz und gar kein Choreograf ist: Herbert Wernicke (1946-2002). Und der keinerlei Versuch unternommen hat, das Stück choreografisch zu interpretieren – wie so viele Choreografen im Umgang mit der Oper es mehr oder – meist – weniger erfolgreich zu tun belieben – von Fokine, Ashton und Balanchine über Wigman, Bausch, Béjart, Neumeier, Spoerli, Berghaus und Brown, Morris , Schlömer, Waltz e tutti quanti – und demnächst auch Christian Spuck! Und der hier eine Produktion abgeliefert hat, die als theatralisches Ereignis alles in den Schatten stellt, was der Verfasser dieses kj – ein bekennender Ballett- UND Opernfan – auf dem Theater in letzter Zeit gesehen und gehört hat.

Ausgangspunkt war der „Rosenkavalier“, den Wernicke 1995 für die Salzburger Festspiele inszeniert hat. Der war dann in den späten Neunzigern auch in Paris zu sehen. Und ist jetzt – nach Wernickes Tod – für das Festspielhaus in Baden-Baden in größtenteils neuer Besetzung neueinstudiert worden: eine Sternstunde des Theaters – von der ich mir vorstellen kann, dass sie dereinst in den Annalen des Theaters neben Max Reinhardts legendärem „Sommernachtstraum“, Peter Brooks „Carmen“ und Giorgio Strehlers „Diener zweier Herren“ Kultstatus genießt. Er ist von einer überwältigenden Schönheit und scheint hier nun, im dritten Anlauf seine heutige Idealbesetzung gefunden zu haben.

Nicht, dass es nicht auch in früheren Zeiten schon Aufführungen, Sänger und Dirigenten geben hätte, die ähnliche tumultuarische Beifallskundgebungen wie jetzt in Baden-Baden (und wahrscheinlich abermals am Mittwoch und Samstag) ausgelöst haben – wenn ich mich allein an meine „Rosenkavalier“-Vorstellungen der letzten sechzig Jahre mit Maria Reining, Elisabeth Schwarzkopf und Regine Crespin als Feldmarschallin, an Sena Jurinac und Irmgard Seefried als Octavian, an Erna Berger und Hilde Güden als Sophie, an Ludwig Weber und Kurt Böhme als Ochs von Lerchenau nebst Anton Dermota als Sänger, oder an die beiden Kleibers, an Kempe, Karajan und Bernstein als Dirigenten erinnere. Doch nirgends in der Welt, möchte ich meinen, kann man heute einen sängerisch besser besetzten „Roenkavalier“ hören als in Baden-Baden mit Renée Fleming als Feldmarschallin, Diana Damrau als Sophie, und Jonas Kaufmann als Sänger, kollegial assistiert von Sophie Koch als Octavian und Franz Hawlata als Ochs von Lerchenau.

Und dass Christian Thielemann DER „Rosenkavalier“-Dirigent der heutigen Generation ist, hat er auch an diesem Abend wieder bewiesen, indem er uns das Geheimnis dieser Strauss´schen Partitur bei aller opulenten Klangfülle (mit den Münchner Philharmonikern erstmals in einer Opernproduktion) in seiner geradezu mozartschen Kantabilität und Durchsichtigkeit und Charme, ihrer Grazie und ihrem erotischen Frisson erschlossen hat.


Und was hat dieser „Rosenkavalier“, der außer ein paar angedeuteten Tanzschrittchen Octavians nichts an Tanz zu bieten hat, im tanznetz verloren (abgesehen davon, dass er unbestreitbar zu den Favoriten des tanznetz-Autors oe gehört)? Eben die Inszenierung Wernickes, die das Stück in ein ständig im Wandel befindliches Spiegelkabinett platziert, in dessen Räumlichkeiten wir uns durch die Jahrhunderte vom maria-theresianischen Zeitalter bis in seine Entstehungszeit am Vorabend des Weltkriegs bewegen (wie es ja auch Strauss in seinem Quiproquo der Stile praktiziert – um uns am Schluss selbst im Spiegelbild des Festspielhaus-Auditoriums zu begegnen). Es ist die subkutane Sprengkraft des Walzers, die uns bis in die Gegenwart katapultiert. Wie wär‘s denn, wenn Gyula Harangozo zum Finale der Wiener Ballett-Operettenära noch eine Wiederaufnahme der Hynd´schen „Merry Widow“ ankündigte - mit ihm selbst als Gaststar in der Rolle des Njegus??

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