Stuttgarts Oper: Pleiten, Pech und Pannen

Klaus Zeheleins Dauer-Opernhaus des Jahres auf abschüssiger Bahn

oe
Stuttgart, 06/04/2009

Seit Albrecht Puhlmann zur Spielzeit 2006/07 als Nachfolger Klaus Zeheleins die Intendanz der Stuttgarter Staatsoper übernommen hat, geht’s mit dem mehrmals zum „Opernhaus des Jahres“ gekürten Institut rapide abwärts. Kein unbedingter Anhänger der Ästhetik des Musiktheaters, sondern ein eingefleischter Opernfan seit meinen ersten Begegnungen mit „Zar und Zimmermann“, „Maskenball“ und „Tiefland“ im Berlin des Kriegsjahres 1943 (also seit 66 Jahren), war mir immer die musikalische Seite einer Opernaufführung wichtiger als die Inszenierung. Was mich nicht daran hinderte, angesichts solcher Produktionen von Regisseuren wie Walter Felsenstein, Günther Rennert, Oscar Fritz Schuh, Giorgio Strehler, Luchino Visconti, Franco Zeffirelli, Jean-Pierre Ponnelle und Götz Friedrich vor lauter Begeisterung aus dem Häuschen zu geraten.

Mit ziemlichem Misstrauen registrierte ich dann den Vormarsch der Dramaturgen im Gefolge von Gielen und Zehelein in Frankfurt und die Besetzung der ideologischen Leitzentralen in den Opernhäusern mit Persönlichkeiten, die in den dramaturgischen Büros groß geworden waren. Daran hat sich bis heute eigentlich nichts geändert, und darum ist mein persönliches Opernhaus Nummer eins in Europa immer noch und immer wieder Zürich – nicht primär wegen des Balletts, sondern wegen der musikalischen Dominanz der Politik des Hauses und der Ausgeglichenheit von Repertoire, Weltklasse-Dirigenten, jungen und arrivierten Sängern und den erstklassigen Beiträgen von Orchester und Chor. Sie sind so bestimmend, dass ich über gewisse inszenatorische Mittelmäßigkeiten und Routineleistungen der Regisseure oder auch ihre Provokationen (Kušej: „Zauberflöte“ und „Genoveva“) hinwegsehe.

Das gelingt mir bei Puhlmann in Stuttgart von Neuproduktion zu Neuproduktion weniger. Er hatte wohl seine große Zeit in Basel, im Zusammenwirken mit dem Regisseur Herbert Wernicke und ihren gemeinsamen Erkundungen des frühbarocken Repertoires (auch Schütz und Bach). Seine Berufung zum Intendanten der Staatsoper Hannover und seine extravaganten Produktionen („Don Giovanni“, „La traviata“) mit Regisseuren vom Schlage des Katalanen Calixto Bieito sicherten Hannover zwar überlokale Aufmerksamkeit in den Medien, trieben die Abonnenten jedoch scharenweise in die Flucht.

In Stuttgart scheiterte er mit dem Versuch, den von ihm in Hannover favorisierten Generalmusikdirektor Shao-Chia Lü als Chef durchzusetzen, der vorgesehene Regisseur der „Jenufa“-Neuproduktion musste ausgetauscht werden, es gab ein paar katastrophale Sänger-Debüts, die neu nach Stuttgart engagierten jüngeren Dirigenten erwiesen sich als routinierte Mittelklasse, Hauptrollen-Sänger mussten vor der Premiere umbesetzt, Premierentermine verschoben werden, eine von Hannover übernommene Mozart-Produktion (inszeniert von der Puhlmann-Gattin) ging in einem wahren Feuersturm unter, ein moderner Bartók- und Schönberg-Abend erstarb in Langweile und beim jüngst vorbereiteten neuen „Lohengrin“ zerstritten sich der – grundsätzlich in Stuttgart durchaus willkommene – neue GMD Manfred Honeck mit dem debütierenden Regisseur, der während der Schlussproben kurzentschlossen abreiste.

Dafür, dass auch die „Eugen Onegin“-Premiere nur mit Klavierbegleitung über die Runden ging, konnte der Intendant nichts, denn sie wurde urplötzlich vom Orchester bestreikt. Aber der Vorfall war der Tropfen, der das Fass des Überdrusses, gespeist durch offensichtliche Unzulänglichkeiten bei den weiteren Neuproduktionen von „Aida“, „Fliegendem Holländer“ und „Idomeneo“ zum Überlaufen brachte. Kam weiter hinzu die Macke des Intendanten, in die Neuinszenierungen („Carmen“, „Trojaner“, „Holländer“, „Lucio Silla“) zusätzliche dramaturgische Quälgeister einzuschmuggeln, die mit ihren pantomimischen Verrenkungen allenfalls einen aufmerksamkeitsablenkenden Charakter hatten.

Irgendwie tut er einem leid, Stuttgarts Opernintendant, der mit so hohen Erwartungen sein Amt antrat seine Produktionen aber derart dramaturgisch zumüllte, dass sie unter so viel Ideologie zusammenbrachen und außer mir auch zahlreiche andere Stuttgarter Opernfans derart verschreckten, dass sie lieber ins Ballett ausweichen, wenn sie es nicht gleich vorziehen, nach Mannheim oder Karlsruhe in die Oper zu fahren (und ganz bestimmt Zürich vorzögen, wenn die dortige Oper nicht gar so teuer wär). Indessen brauchen wir noch nicht alle Hoffnung aufzugeben! In der Programmfestschrift zum 60. Geburtstag Reid Andersons gratuliert Albecht Puhlmann seinem Intendantenkollegen von der anderen Fakultät und freut sich, „dass Oper und Ballett im 48. Jahr des Stuttgarter Ballettwunders gemeinsam Glucks ‚Orpheus‘-Oper erarbeiten.“ Und vielleicht kommt das Ballett der Oper in Stuttgart als Entwicklungshelfer ja zu Hilfe. Wobei wir besonders darauf gespannt sind, ob das Ballett genügend Widerstandskräfte gegen die drohende Infektion durch das dramaturgische Opern-Virus zu mobilisieren imstande ist.

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