Zweimal Tanztheater und einmal Ballett

Neuerscheinungen auf dem internationalen Büchermarkt

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Stuttgart, 18/01/2009

Er ist der Chronist des Tanztheaters: Norbert Servos, Jahrgang 1956. Seit der Gründung von „ballett international“ im Kölner Fähnlein der Aufrechten um Rolf Garske publizistisch an vorderster Front tätig, hoch ambitioniert, längst auch praktisch als Pädagoge und Choreograf aktiv, nahöstlicher Mediator zwischen Ägypten und Israel (neulich ist er mir im Traum gar als Tunnelwächter am Übergang zum Gaza-Streifen erschienen). Jetzt hat er sein drittes Buch vorgelegt – nach „Pina Bausch. Tanztheater“ (2003) und „Schritte verfolgen. Die Tänzerin und Choreographin Susanne Linke“ (2005): „Solange man unterwegs ist – Die Tänzerin und Choreographin Reinhild Hoffmann“ (2008), alle erschienen im Verlag K. Kieser, München. Oder ist es gar schon sein viertes, nach der gründlich erweiterten zweiten Auflage von „Pina Bausch“ (Sommer 2008)? Eins toller aufgemacht als das andere und mit schwarz-weißen und Farbfotos, meist ganz – wenn nicht sogar zweiseitig versehen. Chapeau! And what next, Mr. Servos – Gerhard Bohner, Johann Kresnik?

Servos ist ein absoluter Meister im Beschreiben der einzelnen Arbeiten, Stücke, Werke. Minutiös, detailgenau – und doch gut und flüssig, sogar spannend zu lesen, ergänzt durch die sorgsam ausgewählten Fotos – in den Bausch-Bänden von Gert Weigelt, im neuen Hoffmann-Band vorwiegend von Klaus Lefebvre. Und so ziehen sie denn alle, Titel um Titel, am Leser vorbei, und man sieht sie wie bei der Premiere, doch inzwischen mit dem Hintergrundwissen, was danach kam. Im neuen Bausch II nach den Einleitungskapiteln vom „Frühlingsopfer“ bis zu „Bamboo Blues“ und „Stück 2008“ (mit diversen Interviews im Anhang). Im brandneuen Hoffmann-Band (erschienen zu ihrem 65. Geburtstag) nach der Einführung (ein brillanter Essay von Servos, „Der Geruch der Freiheit“, über den Aufbruch des Tanztheaters und Gespräche über die Anfänge und ihre Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner Johannes Schütz, beginnend mit ihrer ersten Arbeit für Bremen („Fünf Tage fünf Nächte“, 1978) über Bochum (1986-1995) bis zu ihren Soli und Kammerstücken in Bremen, Bochum und Berlin (1980-2005) – woran sich noch zwei (zu knapp ausgefallene) Kapitel – über ihre Opernarbeit anschließen.

Glanzstück des Hoffmann-Bandes ist die Beschreibung ihrer „Callas“-Produktion. Aufschlussreich auch die langsame Emanzipation des Tanztheaters aus den Essener Folkwang-Studios – und die anfängliche Partnerschaft von Linke und Hoffmann. So ergänzen sich die drei/vier Bände zu einer beeindruckenden, faktenreichen, exzellent recherchierten und dokumentierten Geschichte des deutschen Tanztheaters im letzten Viertel des 20. und den beginnenden Jahren des 21. Jahrhunderts – vielleicht ja die kreativste Sparte des deutschen Theaters.


Ganz anders die jüngste Novität aus London – eigentlich ein alter, viel frequentierter Verwandter – aus meiner Sicht eins der etwa ein Dutzend wichtigsten Ballettbücher überhaupt: Ivor Guests „The Romantic Ballet in Paris“, zuerst erschienen bei Sir Isaac Pitman and Sons in London 1966, damals 313 Seiten stark, jetzt „completely revised and updated“ bei Dance Books, 2008, 473 Seiten stark. Mit seinen vielen Büchern über das Ballett, hauptsächlich in Paris und London von etwa 1750 bis zum frühen 20. Jahrhundert ist Ivor Guest, inzwischen 88, zur internationalen Autorität Nr. 1 unter den Balletthistorikern avanciert. Und er bestätigt auch in dieser stark erweiterten Neuausgabe seines Standardwerks über das Ballett in Paris von 1820 bis 1847 sein ehrfurchtheischendes Renommee als Historiker von profundem Wissen, der in der Lage ist, seine enorme Erfahrung so spannend aufzubereiten, dass die Lektüre ein ausgesprochenes Vergnügen bereitet.

Vergleicht man mit der vor vierzig Jahren erschienenen Erstausgabe, ist man verblüfft, was dem Autor inzwischen alles an neuen Erkenntnissen zugewachsen ist – und was er an neuen Informationen (und auch an Illustrationen) entdeckt und zugänglich gemacht hat. Anstelle der ursprünglichen 10 Kapitel sind es nunmehr 26 – mit erheblich erweiterten Angaben über die Aktivitäten der „Porte-Saint-Martin: an Alternative Arena“. In fünf Appendices sind die an der Pariser Opéra vom Juni 1820 bis zum September 1847 kreierten Ballette – anschließend – immer für den gleichen Zeitraum – die Opera Divertissements der Pariser Opéra, die Principal Tänzer der Pariser Opéra, die Ballette am Théâtre de la Porte-Saint-Martin und die tänzerischen Aktivitäten an den anderen Pariser Theatern aufgelistet. Fürwahr ein – nein das Standardwerk über das Pariser Ballett auf dem Höhepunkt des romantischen Zeitalters!

Norbert Servos: „Pina Bausch. Tanztheater“, 2. , erweiterte Auflage, K. Kieser Verlag, München 2008, 299 Seiten, € 28,- Norbert Servos: „Solange man unterwegs ist – Die Tänzerin und Choreographin Reinhild Hoffmann“. K. Kieser Verlag, München 2008, 187 Seiten; € 28,-.
Ivor Guest: „The Romantic Ballet in Paris“, Dance Books, Alton, Hampshire, 2008, 473 Seiten, £ 40.-

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