Die Callas des Balletts

„Carmen-Suite“ und weitere Aufnahmen mit Maya Plisetskaya bei ArtHaus

Berlin, 02/12/2010

Damals, in den 1970ern, schien uns Alberto Alonsos einaktige „Carmen-Suite“ im Arena-Ambiente geradezu das Nonplusultra einer Ballett-Moderne: mit den vorn oder rück überkreuzten Beinen, den demonstrativ einwärts gesetzten Füßen, den erotisch ausgelenkten Hüften der Titelfigur, ihrer expressiven Gestik, wie sie der kubanische Choreograf einbrachte. Legionen von Solistinnen haben den Part nach der Uraufführung 1967 in Moskau getanzt, eine blieb indes unerreicht: Maya Plisetskaya. Selbst vorgerückten Alters beeindruckte sie beim Gastspiel in Berlin.

Arthaus lässt „A Tribute to Maya Plisetskaya“ genau mit dieser Kreation beginnen: in einer Aufzeichnung von 1978. Knapp 53 ist die Primaballerina assoluta des Bolschoi-Balletts da bereits, hat in Alexander Godunow, fast ein Vierteljahrhundert jünger, ihren ungestümen José. Punktet sie mit Persönlichkeit, bringt er die formidable Technik einer neuen Generation ein. Alles Spanische, wird sie auf der Bonus-Dreingabe am Ende der DVD erzählen, faszinierte sie seit eh, besonders die Figur der Carmen. Über ein Gastspiel kam der Kontakt mit dem Choreografen zustande, Ehemann Rodion Shchedrin kompilierte und instrumentierte die Bizet-Partitur um – und zog gemeinsam mit Maya bei der Premiere das Missfallen der Kulturpolitiker auf sich.

Ungeachtet des einstweiligen Verbots wurde die „Carmen-Suite“ ein Welterfolg und half auch im Westen Mayas Ruhm verbreiten. Choreografen von Rang kreierten für sie. Auch dafür enthält die DVD Beispiele, die meisten aus den 1970ern. Valentin Elisariev, Hoffnungsträger unter den Jüngeren, schuf für sie und den eleganten Anatoly Berdyshev ein romantisierendes Fernsehballett nach Turgenjews Erzählung „Frühlingswogen“: als 20-minütigen Pas de deux, körpereng und voller kniffliger Hebungen.

Tragisch geht auch Roland Petits Poem „La rose malade“ aus: Zum Adagietto aus Mahlers 5. Sinfonie verbrennt die Rose an der Begegnung mit Valery Kovtun als hebemächtigem Partner. Als Beispiel der Hohen Schule klassischer Technik steht das Rosenadagio aus „Dornröschen“, mit einer souveränen Aurora und vier Prinzen, kostümiert wie gestiefelte Kater. So ändern sich Geschmack und Auffassung.

Von 2000 erst stammt der fünfte und letzte Beitrag, auch er ein historisches Relikt im doppelten Sinn. Anlässlich ihres 75. Geburtstags tanzt die Plisetskaya das „Ava Maya“, wie es Maurice Béjart ihr auf den so schönen wie noch immer vitalen Körper entworfen hat. In silbrigen Pumps agiert sie ungemein dezent mit zwei Fächern, zitiert ihre legendäre Armkultur als „Sterbender Schwan“, imitiert filigran japanische Tradition und legt zum Schluss die Requisiten wie Reminiszenzen an ihren Tanz ab. Ein bewegender Moment, Punkt hinter die Karriere einer der Großen des vergangenen Säkulums, der Callas des Balletts.

Andere Große jener Ära, sieht man im Kurzabriss ihres Lebens, sind Maya begegnet: Chanel, Chagall, Chauviré, Caballé, Spessiwtzewa, Nurejew, Baryschnikow, Aragon, Adjani und natürlich Pierre Cardin, der viele ihrer Kostüme entwarf und für den sie zum Dank unnachahmlich damenhaft modelte. Ausschnitte weiterer Rollen enthält der biografische Teil, auch aus ihren eigenen Choreografien nach russischer Literatur. Dass sie darin nicht ebenso erfolgreich war wie als Tänzerin, schmälert nicht die Verdienste einer Künstlerin, die mit ihrem grand jeté bravourös den Spagat zwischen Ost und West vollzog.

„A Tribute to Maya Plisetskaya“, ArtHaus Musik 2010, 86 Minuten

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern