Merkwürdiger Schwebezustand

Das Mannheimer Ballett in Hollywood: Kevin O’Days Tanzstück „Film Noir“

Mannheim, 22/05/2010

Der Film Noir, die düsteren Krimis und Psychostudien der fünfziger Jahre als Aufhänger für ein Ballett, das ist mal was anderes und klingt wirklich spannend. Tatsächlich bevölkert der Mannheimer Ballettchef Kevin O’Day die Bühne des Schauspielhauses mit grimmigen Einzelgängern in Trenchcoat und Hut, mit lasziven Femmes Fatales und lebensmüden Prügelknaben, nicht unbedingt in Schwarzweiß, aber in den gedämpften Braun- und Grautönen der Nachkriegszeit. Ausstatter Jean-Marc Puissant trifft die etwas distanzierte Atmosphäre der einsamen Rächer und mörderischen Blondinen perfekt, Mark Stanleys raffiniertes Lichtdesign sorgt für unheimliche Schatten.

Ein mysteriöser Einzelgänger, verkörpert vom geschmeidigen Brian McNeal, begleitet uns durch den Abend und tanzt immer wieder Solos zu gesprochenen Texten von Jack Kerouac, dem Poeten der Beat Generation. Denn O’Day beschränkt sich nicht auf die stilisierten Detektivfilme der vierziger und fünfziger Jahre, er spannt seinen Bogen viel weiter zu einer Art amerikanischen Panoptikum, über Jazzsongs von Chet Baker bis hin zu Frank Zappa, dessen Orchesterkomposition „Bogus Pomp“ das Herzstück des zweiten, erstaunlich andersartigen Teils des Abends bildet. Denn hier wird es vor schick designten, ständig auf- und abfahrenden Mauern plötzlich ganz abstrakt.

Im Programmheft erklärt der Choreograf das letzte Drittel des zweistündigen Abends zu einem der „Traumballette“, in denen die Musicalfilme der vierziger Jahre ihre eigene Handlung noch einmal tänzerisch ausbreiteten. Bei O’Day ist es gewissermaßen eine moderne Variation auf die stilisierten Filmszenen, die er im ersten Teil auf fahrbaren Plattformen in kurzen, durch Blackouts getrennten Bildern lose aneinandergereiht hatte. Dort war mit Scheinwerfern und Sperrholzkulissen ein Filmstudio angedeutet, dort war dem Mannheimer Ballettchef durchaus die Umsetzung von Filmmotiven in tänzerische Bewegung geglückt, etwa in einem lasziv mit sämtlichen Extremitäten wippenden Damenbild auf einem Sofa.

Nach der Pause erscheinen seine dreizehn Tänzer nun in topmodischen Yuppie-Outfits und erinnern zwar immer wieder an die Figuren und Typen, die sie vorhin dargestellt hatten, werfen sich ansonsten aber herzhaft in jenen Turbotanz amerikanischer Provenienz, der möglichst viel Bewegung um einen Hauch von Sinn ansammelt. Das Ergebnis wirkt trotz aller Hektik seltsam spannungslos und unsauber, sowohl in Kevin O’Days Choreografie wie in der Ausführung seiner zwar an Persönlichkeiten reichen, dafür an Homogenität kargenden Kompanie. Da war die Mischung aus stilisierten Posen, düsteren Assziationen und eleganten Damen auf High Heels im ersten Akt wesentlich aufregender; die leicht grotesken Solos zu den Kerouac-Texten erinnerten deutlich an den Stil, den Bridget Breiner in Stuttgart mit ihrem Ballett zu Sprache geprägt hat.

Atmosphärisch, geheimnisvoll und manchmal trügerisch klingt die raffinierte Musikzusammenstellung des Abends – der Choreograf reiht moderne Musik von Webern, Ligeti oder Morton Feldman neben Jazz und dramatische Filmmusik des Hitchcock-Komponisten Bernard Herrmann.

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