Der Prinz im Untier

Beim Ballett Vorpommern verlieben sich „Die Schöne und das Biest“

Greifswald, 07/11/2012

Nach mehreren schwerblütigen Stoffen, „Woyzeck“, Brahms-Requiem und „Der Tod und das Mädchen“, wollte Ralf Dörnen einfach etwas Schönes und Leichtes choreografieren. So entschied er sich im 15. Jahr seiner Ballettdirektorenschaft für ein langgedientes Märchen. Das Thema vom hässlich Verwandelten, den nur die Liebe eines Mädchens erretten kann, findet sich ebenso im deutschen „Froschkönig“ wie auch im 1756 veröffentlichten französischen „La belle et la bête“. Die tragische Féerie regte Illustratoren an und inspirierte Jean Cocteau 1946 zu einem maßstabsetzenden Film. Andere Regisseure bis heute nahmen die Herausforderung an, und auch das Musical griff nach dem trächtigen Sujet. In Greifswald, Stralsund und Putbus, den Spielorten des Theaters Vorpommern, tanzen die Märchenfiguren aus „Die Schöne und das Biest“ nach Dörnens choreografischer Pfeife und belegen Saint-Éxuperys Sinnspruch, man sehe nur mit dem Herzen gut. Denn das Biest erweist sich nicht nur als feinfühlig, sondern am Ende als der schöne Prinz, der Belle in ihren Träumen erschienen war.

Dörnens Musikwahl, sehr verschiedene Kompositionen des Walisers Ralph Vaughan Williams, von sanften Serenaden über Ausschnitte fröhlicher Folk Songs Suites bis zu Sequenzen für Filme, legte auch den Handlungsort fest: irgendein Provinznest in England. Von dort aus wird der Vater eines Sohnes und dreier Töchter per Brief dienstlich abberufen, verirrt sich in den dunklen Garten eines verwunschenen Schlosses, wo ihn Steingeister foppen und er an einem fahrbaren Tisch mit weiblichem Oberkörper bestens bewirtet wird. Als er Tochter Belle das versprochene Geschenk bricht, eine Rose, verlangt der Hausherr, jenes Zottelwesen, entweder sein Leben oder das einer Tochter. Nur Belle, die Jüngste, ist bereit, sich für den Vater zu opfern. Nach erster Ohnmacht beim Anblick des Monsters erkennt sie allmählich seine Werte, kehrt vom Heimurlaub spät, aber dennoch zurück, küsst das sterbende Untier. Da wird er jener Schöne, der von einem Gemälde lächelte und vor dem Belle mehrfach sinnierend stand. Kuss, Hochzeit, langes Leben in Glück.

Ein Stoff, wie gemacht fürs Ballett. Dörnen vermeidet jedes süßliche Klischee, kehrt nicht zur russischen Spätromantik eines Marius Petipa zurück, sondern schafft Figuren mit Profil. Die weichherzige Belle weist durchaus resolut die Avancen eines depperten Verehrers zurück und erträgt lange die Gesellschaft ihres Schlossherrn nicht. Der, trauervoll in seiner Ungestalt, fordert, obwohl in begünstigter Lage, nichts, wartet auf Belles Herzenswandel. Gedrückt und gebeugt tanzt er, gestaltet statt zu brillieren.

Folkloristische Einsprengsel in der Choreografie für Belles Familie und Freunde skizzieren das ländliche Milieu, alles auf halber Spitze und in Charakterschuhen für die Frauen. Erst im zweiten Teil trägt Belle zum knielangen Tutu, Geschenk des Biests, Spitzenschuhe und entäußert sich mit klassischer Technik. Dass alle Figuren stücklang reichlich zu tanzen haben, das Zuschauerauge allzeit etwas zu sehen hat, bekommt dem Abend bestens. In Hans Winklers so geschickt wie rasch wandelbarer Dekoration aus drehbaren Häusern und Claudia Kuhrs farblich klaren Kostümen entrollt sich ein Bilderbogen mit tieferem Sinn und tänzerischem Anspruch. Den erfüllt die Kompanie aus nur 12 Tänzern nebst zwei Praktikanten der Staatlichen Ballettschule Berlin überzeugend, allen voran Yoko Osaki als darstellerisch und technisch dominierende Belle. Dörnen kann auf dies Ensemble mit, eher ungewöhnlich, auch imponierend guten Männern zählen und hat im Dirigenten Henning Ehlert einen Partner, der Vaughan Williams farbige Musik mit seinem Philharmonischen Orchester zum Blühen bringt.

Dennoch, so Dörnen, sei es nicht eben leicht, mit von 14 auf 12 Stellen reduzierter Mannschaft permanent Qualität zu liefern. Lediglich aufgeschoben sei seine Unkündbarkeit, die Intendanten nicht gern in Kauf nehmen und sich deshalb meist im verflixten 14. Jahr von Künstlern verabschieden. Doch erst einmal gibt es in dieser Spielzeit Rückschau und Ausblick: Mit mannigfachen Aktivitäten, öffentliches Training bis Hafenrundfahrt, Benefiz-Gala mit Gästen anderer Bühnen und weiteren Premieren, feiert das bereits überregional populäre Ballett Vorpommern sein 15-jähriges Bestehen. Was die Zukunft mit den vom Land geplanten Sparmaßnahmen im Theaterbereich bringt, steht auf einem anderen Blatt.

Wieder 10., 18.11., 2., 23.12. (Stralsund), 16.11., 28.12. (Putbus), 23.11., 15., 19.12. (Greifswald)

 

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