Körperliche Aufwallungen

An Kaler eröffnete fulminant die 21. Tanztage in den Sophiensaelen

Berlin, 09/01/2012

Drei hängende Rechtecke verschiedenen Materials sind einzige Dekoration für „Insignificant Others“. Drei Tänzer betreten in Alltagskleidung die Szene der Sophiensaele, stellen sich rechts zum Dreieck mit einander zugewandten Gesichtern. So eng sie sich hier geben, ein Mehr an Kontakt oder gar Berührung kommen nicht vor. Dennoch sind die Tänzer in An Kalers 45-minütiger Choreografie durch vibrierende Spannung einander verbunden, wie weit sich einer vom anderen auf der Suche nach der ganz eigenen Ausdrucksweise auch entfernen mag. Die beginnt mit winzigen Verschiebungen des Oberkörpers, bis sich die Bewegung in den Raum hinein ausdehnt. Unsichtbare Kräfte scheinen die Tänzer dabei zu treiben, lassen die Arme kreisen, abknicken, klappen, sich strecken, überkreuzen, machen die Schwere der Gliedmaßen durch ruckhafte Abläufe sichtbar. Elektronische Tonschnipsel werden lauter, tröpfeln über den Tanz, verhallen, wenn auch die Bewegung stoppt. Dann setzen flackernd angeleuchtete Rechtecke auch optisch Zäsuren. Wenn die tänzerischen Aufwallungen neu beginnen, jeweils von einem anderen Ort im Raum aus, sich die Atmosphäre wieder auflädt, hat sich auch die Bewegungsqualität verändert, von der Senkrechten etwa zur Bodenlage. Bisweilen wirken die Akteure bei der Zerlegung motorischer Abfolgen wie fremdbestimmte Marionetten. Am Ende stehen sie links als Reihe, bis extrem langsam das Licht erlischt. An Kaler ist mit dieser Studie nicht nur eine überzeugende Auseinandersetzung mit reinem Tanz gelungen, bei der sie in Alex Baczynski-Jenkins als aktivstem Tänzer, Antonija Livingstone, der introvertierten Kaler selbst auch drei verschiedene Temperamente präsentieren konnte. Die Absolventin des Pilotstudiengangs „Zeitgenössischer Tanz, Kontext, Choreografie“ in Berlin hat die 21. Tanztage in den Sophiensaelen damit gleichsam die Messlatte gelegt.

Wie weit andere Teilnehmer davon entfernt sind, zeigten die beiden folgenden Programme. Auffällig ist hier, dass viele der Starter den Tanz erst nach anderen Studien, Kunst, Grafikdesign und Literaturwissenschaft, für sich entdeckten. Entsprechend verkopft sind ihre Ansätze, wo es gilt, sich mit dem Körper, nicht mit dem gesprochenen Wort zu erklären. So äußert sich Kai Simon Stöger in die Kamera hinein über Tanz als Kunstform und die zwei Körper auf der Bühne, den der dargestellten Figur und den der Tänzerin. Diese robbt mit Silberflimmer an den nackten Schenkeln über den Boden, dabei nur die Beine für die Fortbewegung nutzend. Mit Maske auf dem Hinterkopf wird sie zum parlierenden Hund, weidet ihren Sessel aus, spricht über Auditions.

Kaum einzuschätzen sind die drei Kurzbeiträge, die nach einem mehrwöchigen Coachingprojekt entstanden sind und doch so wenig Substanz boten. Weder Ana Rochas selbstbewusstes Minimalstehen und ihr misstöniger Gesang mit Kimono am Esstisch noch Louise Ahls Tranceversuche im Nebel mit Räucherkerze, wussten etwas mitzuteilen. Dass eine verzerrte Männerstimme in endloser Wiederholung vom Schießen redet und für den Betrachter so zur Dauerfolter wird, lässt auf Ausbau der Sequenz zum tragfähigen Stück hoffen. Gleiches gilt für Cecile Ullerup Schmidts noch hilfloses, aber wohlmeinendes Experiment, aus der eigenen Schießerfahrung zu Aussagen zu kommen, wie US-Soldaten für Einsätze in Afghanistan und anderswo fühllos trainiert werden.

Auftritte unbekannter junger Choreografen tragen die Tanztage noch bis 15. Januar. So kommentiert Verena Wilhelm in ihrem Solo die moderne Kriegsführung am Beispiel eines Beschusses von irakischen Zivilisten aus US-Helikoptern. Aus kleinen Szenen entwickelt Katharina Maschenka Horn einen vielschichtigen Charakter; Kapitalismus und Schizophrenie sind die Pole in Tian Rotteveels Solo. Willy Prager will einen philosophischen Text in ein Musical verwandeln; Magda Korsinsky wählte einen Film zum Ausgangspunkt einer grotesk-bizarren Komödie; der Frage nach dem eigenen Weg bei fortwährendem Wandel geht Anna Nowicka nach.
 

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