„Die Geschichte des Soldaten-Orpheus“ von Jiří Bubeníček. Tanz: Bridget Breiner

„Die Geschichte des Soldaten-Orpheus“ von Jiří Bubeníček. Tanz: Bridget Breiner 

Strawinskys Moritat und Totentanz

Der Tänzer Jiří Bubeníček wird als Choreograf in Gelsenkirchen gefeiert

Ganz im Sinne der Musik Strawinskys besticht Jiří Bubeníčeks Choreografie „Die Geschichte des Soldaten-Orpheus“ in ihrer Doppelbödigkeit.

Gelsenkirchen, 26/06/2013

Die Seele stirbt zuletzt. Es ist die Seele der Eurydike, getanzt von Bridget Breiner, in einer Choreografie des Balletts „Orpheus“ von Igor Strawinsky am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier von Cathy Marston. Die Choreografin hat sich gänzlich von der Handlung der drei Szenen der Uraufführung von 1948 in der Choreografie von George Balanchine gelöst. Wir wissen auch nicht, ob wir auf der Bühne von Ines Alda schon im Reich der Toten oder noch auf einer von den Spuren kriegerischer Vernichtung und Zerstörung geschundenen Welt sind.

Ein Mann, Sergio Torrado als Orpheus, versucht seine tote Frau, Kusha Alexi als Eurydike wieder zu beleben. Im Gegensatz zur ungewöhnlichen Melodik Strawinkys in diesem Werk können hier weder Klang noch Gesang die Todesengel erweichen und eine Gruppe von Soldaten verweist unmissverständlich darauf, dass die Hoffnungsbotschaft des Mythos kraftlos ist und vor dem endgültigen Verlust des Lebens kein Aufschub gewährt wird. Die Welt der Krieger hat das Urteil über sich und ihre Menschen gesprochen, es führt kein Weg zurück aus diesem getanzten Endzeitszenario.

Einen Hoffnungsschimmer jedoch lässt die Choreografin zu. Die Seele der Eurydike tanzt, allein den auf Tod und Verlust fixierten Orpheus vermag sie nicht zu erreichen. In einer beeindruckenden Verbindung klassischer, neoklassischer und expressiver, zeitgenössischer Elementen bietet Bridget Breiner alle Kräfte der Bewegung auf um Orpheus zu bewegen nicht zurück zu blicken.

Dieser Totentanz erschließt sich von seinem Ende her. In der menschenleeren, zerstörten Landschaft, bleibt die Seele der Eurydike allein zurück. Die Seele als Sinnbild der Hoffnung stirbt zuletzt. Und zu diesem, von Strawinskys Schlussmusik des „Orpheus“ getragenen Gedanken, spannt sich der Bogen des Abends, der mit der musikalisch so ganz anders gearteten Moritat „Die Geschichte vom Soldaten“, uraufgeführt 1918, beginnt.

Auf der gnadenlos schwarzen Bühne von Otto Bubeníček, die bald die tanzenden Menschlein zu verschlingen droht, zunächst ein märchenhaftes Tor in dessen Öffnung das Instrument der Seele des Soldaten, seine alte, verschrammte Geige, hängt. Junior Demitre ist der Soldat auf Urlaub. Der Choreograf Jiří Bubeníček hat für den sympathischen Tänzer ein reiches Spektrum an Bewegungen unbekümmerter Naivität geschaffen. Dass diese Art der Weltsicht auf seinem Weg von den Schauplätzen des Krieges zu denen der friedlich verklärten Heimat mit Mutter, Braut und Freunden ihm zum Verhängnis wird ist bald offensichtlich.

Und in der Tat, es fällt nicht leicht den Verführungskünsten eines so exzellenten Teufelstänzers wie Joseph Brunn in vielerlei Gestalt zu widerstehen. Und es kommt wie es kommen muss: die Seele wird verkauft, das Instrument verstummt, das Teufelsgeld verwandelt den jungen Mann, selbst seine Mutter erkennt ihn nicht und die Braut ist weg. Immerhin, die Wanderschaft beginnt erneut. Der junge Mann wird wieder arm, die Geige klingt, die Seele kehrt zurück. Er kann die Schwermut einer Prinzessin (Anna Köppen) brechen, aber er ist jetzt heimatlos und ob das kurze Glück Bestand hat, bleibt geheim.

Ganz im Sinne der Musik Strawinskys, knapp besetzt und voller Rhythmik im kleinen Orchester, besticht diese Choreografie gebrochener Poesie und clownesker Circensik in ihrer Doppelbödigkeit. Das teuflische Spiel wird nicht verteufelt, es bleibt dem Zuschauer überlassen, sich seinen Reim zu machen auf diese Moritat der Verführbarkeit mit den gereimten Texten, die von dem Schauspieler Sebastian Schwab in der Rolle des Erzählers bisweilen etwas zu übereifrig in den Vordergrund gestellt werden.

Am Ende großer Jubel für die Mitglieder der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Rasmus Baumann, mehr noch für das Inszenierungsteam, vor allem Jiří Bubeníček, auf dessen nächste Choreografien man gespannt sein darf, und seine wunderbaren Tänzer. Im zweiten Teil besonders für Bridget Breiner als exzellente Tänzerin, die auch als Chefin der Kompanie dieses Finale ihrer ersten Saison in Gelsenkirchen feiern kann. Die Besucherzahlen beim Ballett sind nach Aussage der Marketingchefin um gut 25% gestiegen sind.

Nächste Aufführungen: 30.06.; 5.07. und in der nächsten Saison
 

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