TANZFONDS ERBE fördert zum zweiten Mal künstlerische Projekte zum Tanzerbe in Deutschland

Der von der Kulturstiftung des Bundes initiierte TANZFONDS ERBE vergibt rund 1,7 Mio. Euro für 22 Projekte

In seiner letzten Bewerbungsrunde vergibt der von der Kulturstiftung des Bundes initiierte TANZFONDS ERBE rund 1,7 Mio. Euro für 22 Projekte. Unter anderem werden Rekonstruktionen der Bohner-Fassung des Triadischen Balletts, des Balletts „Pax Ouestuosa“ von Uwe Scholz und der Wigman-Fassung von „Le Sacre du Printemps“ gefördert.

Berlin, 26/01/2013

In seiner letzten Bewerbungsrunde vergibt der von der Kulturstiftung des Bundes initiierte TANZFONDS ERBE
rund 1,7 Mio. Euro für 22 Projekte. Unter anderem werden Rekonstruktionen der Bohner-Fassung des
Triadischen Balletts, des Balletts „Pax Ouestuosa“ von Uwe Scholz und der Wigman-Fassung von „Le Sacre
du Printemps“ gefördert.

TANZFONDS ERBE fördert künstlerische Formate, die sich wichtigen choreografischen Positionen,
Schlüsselwerken und Themen des Tanzes im 20. Jahrhunderts widmen. Die Mitglieder der Jury – Prof.
Rose Breuss, Gabriele Naumann-Maerten, Prof. Martin Puttke, Dr. Christiane Theobald, Prof. Dr.
Christina Thurner – haben am 24. Januar 2013 über die Anträge entschieden.

Die Jury erklärt: „Der Fonds war eine Einladung an die Künstler, sich dem Erbe des Tanzes in
Deutschland zu widmen. Der Facettenreichtum des Tanzerbes wurde durch die Vielfalt der Anträge
sichtbar. Aus den 70 eingereichten Projekten werden Vorhaben gefördert, die von der Rekonstruktion
nicht mehr zu sehender Werke bis hin zu kritischen Auseinandersetzungen mit der Tanzgeschichte
reichen. Sie tragen zur Aktualisierung der künstlerischen Arbeit bei.“ Die interdisziplinäre und
begehbare Rauminstallation „Memory Machine“ lässt die Tanzgeschichte zwischen 1980 und 2000
durch Zeitzeugenberichte aufleben. Das „Julius Hans Spiegel Archiv der Exotismen in der
Tanzmoderne“, ein Projekt des Theater Freiburg, bearbeitet einen bisher vernachlässigten Aspekt im
Tanz: die exotitistischen Anleihen, die Pioniere des Deutschen Tanzes bei außereuropäischen Kulturen
nahmen.

„Besonders gefreut hat uns die Beteiligung relativ vieler Stadt- und Staatstheater am Tanzfonds Erbe“,
so Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes. „Das garantiert, dass
wichtige Choreografien des 20. Jahrhunderts vor dem Vergessen bewahrt werden und ein
vergleichsweise großes Publikum erreichen.“

Ein Hindernis im Umgang mit dem Tanzerbe sind ungeklärte Urheberrechtsfragen. „Diese werden nun
im praktischen Umgang mit dem Tanzerbe neu verhandelt,“ erklärt Madeline Ritter, Leiterin des Fonds.
„Die künstlerische Aneignung historischer Werke wird nachhaltig erleichtert.“ Der Träger des Fonds,
DIEHL+RITTER, steht den Projekten in Fragen des Urheberrechts beratend zur Seite. Außerdem wird er
die Vorhaben mit einem eigenen Filmteam begleiten. Die Dokumentationen werden anschließend auf
www.tanzfonds.de zu sehen sein.

KURZBESCHREIBUNGEN DER GEFÖRDERTEN PROJEKTE

Oper Leipzig: „Pax Questuosa – Klagender Friede“
Das Leipziger Ballett unter Leitung von Mario Schröder rekonstruiert Uwe Scholz' Choreografie „Pax
Questuosa – Klagender Friede“. Das Stück thematisiert die gesellschaftspolitische Situation in der Welt
nach Ende des Kalten Krieges. Mit seinen genuinen künstlerischen Ausdrucksmitteln, zeitgenössischer
Musik und einer choreografischen Formensprache, die Uwe Scholz' spätere Handschrift begründet, gilt
das Ballett als ein Schlüsselwerk im Schaffen des Choreografen.

Schauspielhaus Bochum: „Ruhr-Ort“
Susanne Linke rekonstruiert ihr Stück „Ruhr-Ort“ aus dem Jahr 1991 am Schauspielhaus Bochum. Die
im Rahmen der Rekonstruktion geplante Erweiterung des Stücks wird Studierende der Folkwang
Universität der Künste, Mitglieder der freien Kompanie RENEGADE und Videokünstler einbinden.
Angela Guerreiro: „The Live Legacy Project: Correspondences between German Contemporary Dance
and Judson Theater Movement“. Das Research-Projekt wird die Verbindungen zwischen dem zeitgenössischen Tanz in Deutschland und der Judson Dance Theatre-Bewegung in New York untersuchen. Die Ergebnisse der Recherchen münden in einem sechstägigen Symposion, in dessen Rahmen New Yorker mit deutschen
Tanzkünstlern arbeiten. Eine Buchpublikation und ein Film des Deutschen Tanzfilminstitut Bremen
werden die Veranstaltung dokumentieren.

Saarländisches Staatstheater: „Anastasia“
Das Ballett „Anastasia“, ein Einakter den Kenneth MacMillan 1967 in seiner Zeit als Ballettdirektor
der Deutschen Oper Berlin kreierte, war einer seiner größten Erfolge. Das Stück bewegt sich im
Grenzbereich zwischen klassischem Ballett und Ausdruckstanz. Das Saarländische Staatstheater plant
eine genaue Rekonstruktion des Stücks mit Originalkostümen und -bühnenbild.

Theater Hagen: „Der Schrank der Georgi – Eine tänzerische Recherche“
Die Produktion will Re-Enactments und Neueinstudierungen zu ausgewählten Choreografien der heute
wenig bekannten Tänzer-Choreografin Yvonne Georgi erarbeiten. Das Projekt will die Karriere Georgis
nachzeichnen, einer Wigman-Schülerin, die bereits 1924 mit Kurt Jooss zusammenarbeitete.

Pina Bausch Stiftung: „Wind von West (Cantata) – Internationale Kooperation zur Rekonstruktion des
gleichnamigen Stücks von Pina Bausch“
Das Projekt ist eine Rekonstruktion des Stücks „Wind von West (Cantata)“ aus dem Jahr 1975 von Pina
Bausch. Unter der Leitung von drei ehemaligen Tänzern der Urbesetzung wird die Choreografie mit
Studenten-Ensembles der Essener Folkwang Universität der Künste und der New Yorker Juilliard School
einstudiert. Ergänzend werden anhand der im Pina Bausch Archiv vorhandenen Materialien und
unterstützt durch das Tanztheater Wuppertal auch Bühnenbild und Kostüme rekonstruiert.

Nationaltheater Mannheim: „Isadora Duncan in Mannheim: Zeitgenössische Positionsbestimmung
auf der Bühne und in der Stadt.“
Das Ballett des Nationaltheaters Mannheim wird sich einer Pionierin des Ausdruckstanzes, Isadora Duncan,
widmen. Der Ballettabend wird flankiert von einem Rahmenprogramm mit zahlreichen Partnern, u.a.
sind dies die Kunsthalle Mannheim, die Musikalische Akademie, das Landesmuseum für Technik und
Arbeit. Das Projekt nimmt Isadora Duncans Auftritt in Mannheim im Jahr 1907 – anlässlich des 300-
jährigen Stadtjubiläums – zum Ausgangspunkt und reflektiert das Selbstverständnis einer modernen
Industriestadt, die sich seinerzeit in Duncans Tanz repräsentiert sah.

MS Schrittmacher – Martin Stiefermann: „Anita Berber“
Das Projekt beschäftigt sich mit der Tänzerin und Choreografin Anita Berber über ihr Image als
skandalumwitterte Ikone des Berlins der 1920er Jahre hinaus. Mit der deutschen Erstübersetzung des
Buches „Anita Berberova“ von Joe Jencik im K. Kieser Verlag über den Tanzstil Anita Berbers und der
Recherche nach dem verschollenen Film „Moderne Tänze“ konzentriert sich das Projekt auf ihr
choreografisches Werk und wird ausgewählte Soli rekonstruieren.

Uri Turkenich: „After #3“
Im Fokus des Projektes steht die Analyse von Pina Bauschs Tanztheater Performances Ende der 70er
Jahre, die einen historischen Wendepunkt für das Tanzfeld darstellen. Turkenich will einen Beitrag zum
Verständnis für diese Ereignisse leisten und zeigen, wie sie gegenwärtige Produktionsmethoden und
Ästhetiken in Choreografie und Tanz geprägt haben.

Internationales Theaterinstitut – Zentrum Deutschland: „TRANSFORMATION ACTS – Eine mediale
Installation“
Seit den siebziger Jahren ist der Tanz ein Impulsgeber für die Theateravantgarden. Zeitgleich begann
er, Spezifika anderer Künste zu nutzen: mehrschichtige Erzählungen, Sprach- und Sprechtexturen,
elektronische Bild- und Klangmedien. Diese Transformationsvorgänge will die Videoinstallation
„Transformation Acts“ zeigen und erlebbar machen. Archivmaterial zu wegweisenden Produktionen des
20. Jahrhunderts und aktuelle Reflexionen werden in einen Zusammenhang gestellt.

Stadttheater Gießen: „SOAP recreation – Rui Horta/Tanzcompagnie Gießen (AT)“
Die Tanzcompagnie Gießen wird eine Choreografie Rui Hortas aus seiner Zeit in Frankfurt am Main
wiederaufnehmen und an die nächste Tänzergeneration weitergeben. Damit wird das Schaffen eines –
nicht nur für die Region – wichtigen Protagonisten der jüngeren Tanzgeschichte in Deutschland
sichtbar.

Akademie der Künste: „Das Triadische Ballett – Recherche, Rekonstruktion, Neuaneignung (AT)“
Gerhard Bohners Kostümrekonstruktion und choreografische Neufassung von Oskar Schlemmers
„Das Triadische Ballett“, die er 1977 realisierte, war eine der erfolgreichsten Produktionen der
jüngeren Tanzgeschichte und kann als beispielhaft für einen künstlerischen Rekonstruktionsprozess
gesehen werden. Die Akademie der Künste wird sie gemeinsam mit jungen Tänzern des Bayerischen
Staatsballett II rekonstruieren.

MOUVOIR/Stephanie Thiersch: „Memory Machine“
Die interdisziplinäre und begehbare Rauminstallation „Memory Machine“ lässt die von neuen
Konzepten und Stilen geprägte Tanzgeschichte zwischen 1980 und 2000 durch Zeitzeugenberichte
aufleben. Die in einem assoziativen Verfahren gesammelten Aussagen ausgewählter Protagonisten
werden spielerisch in eine Maschine überführt, die Gehirnprozesse imitiert. Dem Besucher erschließt
sich die Erinnerungssammlung in Ton, Bild, Schrift und Live-Performance. Er kann selbst
Schwerpunkte setzen, neu assoziieren und die Tanzgeschichte sinnlich vergegenwärtigen.

Städtische Bühnen Osnabrück: „Rekonstruktion ‚Le Sacre du Printemps’ in der Choreografie von
Mary Wigman“
Unter Leitung der Choreografin Henrietta Horn wird das Ballett „Le Sacre du Printemps“ von Igor
Strawinsky in der szenisch-choreografischen Version von Mary Wigman so original wie möglich
rekonstruiert. 1957 an der Städtischen Oper Berlin mit dem dortigen Ballettensemble uraufgeführt,
werden nun die Tanzensembles der Städtischen Bühnen Osnabrück und Bielefeld gemeinsam mit
Absolventen der Folkwang Schule in einer groß angelegten Kooperation das Werk auf die Bühne
zurückbringen.

Theater Koblenz: „Tausend Grüße (AT)“
Das Ballett Koblenz wird zwei wichtigen Choreografien von Uwe Scholz – „Dans la Marche“ und „1000
Grüße“ – in sein Repertoire aufnehmen. Die Neuinterpretation der Scholz-Choreografie „Suite Nr. 2“
durch Steffen Fuchs, Ballettdirektor des Ballett Koblenz und langjähriger Solist unter Uwe Scholz,
verankert dieses wichtige Erbe deutscher Tanzkultur in der Gegenwart.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden: „DENKEN IN BEWEGUNG – Ballettabend von Stephan Thoss
zu Rudolf von Laban“
Mit diesem spartenübergreifenden Projekt möchte der Ballettdirektor des Hessischen Staatstheaters,
Stephan Thoss, mit der Kompagnie des Theaters die Gültigkeit von Labans Bewegungslehre
demonstrieren. Dabei überträgt er die Bedeutung der Lehre von den Bewegungen menschlicher Körper
auf die Welt der Musiker und Klangkörper. Dies geschieht in Kooperation mit dem Ensemble Modern
Frankfurt.

Juliette Villemin: „Bilder der Modernen Tanzdimension: Monte Verità und die Neuentdeckung des
Raumes“
Thema dieses Projekts ist die in der Moderne sich herauskristallisierende Suche nach neuen und
erweiterten Bezugsmodalitäten zwischen Körper und Raum. Dafür werden die von 1909-1919 am
Monte Verità angesiedelte Tanzbewegung in Ascona und die Tanzbühne Laban weiter erforscht, sowie
Verbindungen zwischen modernem Tanz und Bildender Kunst hergestellt. Die Ergebnisse werden dem
Publikum in einer Rauminstallation mit begleitenden Workshops präsentiert.

Christoph Winkler: „Abendliche Tänze – Die Subjektive Logik der Erinnerung“
Das Projekt „Abendliche Tänze“ beschäftigt sich mit dem subjektiven Prozess des Erinnerns an die
Choreografien „Abendliche Tänze“ von Mary Wigman und „Abendliche Tänze“ von Tom Schilling.
Christoph Winkler wird nun eine dritte Choreografie mit dem gleichen Titel erarbeiten, die sich als
Fortschreibung der Stücke von Wigman und Schilling versteht. Das Projekt sucht nach Formen der
künstlerischen Auseinandersetzung mit historischen Werken jenseits von Rekonstruktion.

Christina Ciupke: „I do, I undo, I redo (AT)“
Das Projekt reflektiert Geschichte und Übermittlung über den Prozess der Weitergabe einzelner
Bewegungsfragmente herausragender Protagonisten der Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts. Dazu
werden fünf Zeitzeugen – u.a. Reinhild Hoffmann, Thomas McManus und Irene Sieben – befragt, die an
bedeutenden Produktionen als Tänzer, Assistenten oder Rekonstrukteure beteiligt waren und damit
unterschiedliches Wissen über diese Werke mitbringen. Ciupke und ihre Tänzer befragen so die
verschiedenen Möglichkeiten der Weitergabe von Tanzwissen.

Saša Asenti: „Tanz des Prekariats oder wer würde für Jean Weidt heute tanzen? (AT)“
Das Projekt wird den künstlerisch-politische Dialog, den Weidt in den 1920er und 1930er Jahren
angestoßen hat, aufgegreifen: Weidt hat Tanz als Ausdruck gesellschaftlicher Missstände sowie als
Agitationsinstrument hervorgehoben. Die Rekonstruktion von Weidts Choreografien der Periode 1921-
36 werden ästhetisch und auf ihre gesellschaftlicher Relevanz hin überprüft und ihr politischer Gehalt
für die heutige Zeit transformiert. So geht es etwa um die heutigen prekären Arbeitsbedingungen von
Künstlern sowie um die Bedeutung und Wertschätzung von Kunst und Kultur.

Theater Freiburg: „Julius Hans Spiegel Archiv der Exotismen in der Tanzmoderne“
Das „Julius Hans Spiegel Archiv der Exotismen in der Tanzmoderne“ bearbeitet einen bisher
vernachlässigten Aspekt der Tanzmoderne in Deutschland: die exotistischen Anleihen, die Pioniere des
Deutschen Tanzes bei außereuropäischen Kulturen nahmen. Vier internationale Künstler werden sich
über einen Zeitraum von dreieinhalb Monaten mit unterschiedlichen historischen Exotika
auseinandersetzen und ausgehend von ihren künstlerischen Interessen neue Perspektiven auf die
deutsche Tanzgeschichte werfen.

Josep Caballero García: „No of spring“
„No of spring“ beschäftigt sich mit weiblichen Rollen der deutschen Tanzgeschichte aus der
Erinnerungsperspektive ehemaliger männlicher Tänzer. Auf der Grundlage von Interviews wird eine Art
Rekonstruktion der ausgewählten Rollen aus dem Blickwinkel dieser Männer ausgearbeitet. Dabei soll
ein subjektiver Weg des Rekonstruierens gefunden werden. Mit dem gesammelten Material wird ein
Stück an der Schnittstelle zwischen Tanzperformance und Bild-/Toninstallation komponiert

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