„L'heure bleue” von Les Ballets Bubeníček

 „L'heure bleue” von Les Ballets Bubeníček

Les Ballets Bubeníček in Pilsen

Mit „L'heure bleue” und „The Piano“ zu Gast in Tschechien

Les Ballets Bubeníček bescheren der Europäischen Kulturhauptstadt ein Tanzereignis von europäischem Rang

Pilsen, 23/07/2015

Gegen Abend beginnt die Blaue Stunde. Da hat der Himmel diese besondere Färbung, das ist die Zeit der Dämmerung, bevor die Sonne untergeht und die Dunkelheit beginnt. Das ist die Zeit dazwischen, die Zeit der melancholischen Stimmung zwischen Tag und Traum. In der Kulturhauptstadt Europas, im Neuen Theater von Pilsen, beginnt die Blaue Stunde um 20.00 Uhr und dauert knapp 30 Minuten.

Mit der 2013 beim North Carolina Dance Theatre uraufgeführten Choreografie „L'heure bleue” beginnt das Gastspiel von Les Ballets Bubeníček. Jiří Bubeníček ist der Choreograf, sein Bruder Otto hat die Ausstattung entworfen, ist für den Sound verantwortlich, für die Einspielungen der Musik von Bach und Boccherini, Fabio Antoci hat das Licht für diese Aufführungen stimmig eingerichtet, und so verzaubert diese Kreation, zu der Jiří Bubeníček auf einem Weg durch das abendliche Paris am Montmartre inspiriert wurde, auch das Publikum in Pilsen. Ob ihn auch die Gedichte „Die blaue Stunde“ von Gottfried Benn und Ingeborg Bachmann angeregt haben, ist denkbar, denn auch hier spielen die Rose und das Schwert eine besondere Rolle. Und die Bubeníčeks wären nicht die Bubeníčeks, versetzten sie nicht ihre poetische Kreation mit jenem Maß an Humor und Verschmitztheit, die nicht zuletzt an Brechts Warnung, nicht so romantisch zu glotzen, erinnern.

Aber zu sehen gibt es viel. Der Vorhang hebt sich und Jiří Bubeníček posiert in einem opulenten Bilderrahmen. In den Rahmen, die links und rechts darüber hängen, die Rose und der Degen. Eigentlich sollte dann sein Bruder Otto dazu kommen, aber der hat sich verletzt und – im besten Sinne des Wortes – springt Jón Vallejo ein und die tänzerische Konkurrenz der barocken Galane kann beginnen. Damit nicht genug: Mit Claudio Cangialosi betritt die Eleganz auf sprungkräftigen Beinen die Szene. Ein wunderbares Spiel lässt die Protagonisten immer wieder in ihre „Rahmen“ zurückkehren, um gleich darauf mit sensibel dosierten Clownerien aus diesen heraus zu tanzen. Dann, in einem großen Rahmen, drei Tänzerinnen in barock assoziierten Kleidern und tänzerischen Wandlungen, die bis in die Stilistik der Gegenwart führen.

Sonia Vinograd, Jelena-Ana Stupar und Duosi Zhu lassen die Rahmen ihrer Konventionen, in denen sich die Herren sicher fühlen und von denen aus sie auch ihre Jagd- und kämpfenden Konkurrenzsprünge wagen, vollends zerbrechen. Und alles wandelt sich, wenn Blätter roter Rosenblüten herab auf einen wenig bekleideten, attraktiven Jüngling rieseln. Andrei Morariu tanzt diese so verführerische wie rätselhafte Gestalt des schönen Fremden. Die echten Kerle müssen kämpfen, mit dem Mut ist das jeweils so eine Sache, und wenn dann die Poesie der Rose die Gewalt des Degens besiegt, dann sind alle dem Zauber dieser blauen Stunde erlegen und über einer herrlichen, heiteren Parade der Konkurrentinnen und Konkurrenten senkt sich, zu Boccherinis bekanntem Menuett, der Vorhang.

Nach der Pause dann das Ballett „The Piano“ von Jiří und Otto Bubeníček, eine Produktion des Balletts Dortmund, jetzt als tschechische Erstaufführung in Pilsen, auch hier hat Fabio Antoci das Licht der Dortmunder Uraufführung von Carlo Cerri und Jiří Bubeníček im Februar dieses Jahres eingerichtet. Auch beim Wiedersehen dieser außergewöhnlichen Balletterzählung, um den hier unangemessenen Begriff vom Tanztheater bewusst zu vermeiden, sind für mich Zustimmung, Begeisterung und Berührung ungebrochen. Im Gegenteil, die Aufführungen in Pilsen haben an Intensität gewonnen, ich entdecke neue Details, und wieder ist es die Faszination der Protagonisten, Dmitry Semionov hat an charakterlicher Schärfe hinzu gewonnen, Jacqueline Bâby, die die Partie der stummen Pianistin von Emylie Nguyen übernommen hat, jetzt mit neuen Akzenten der Gestaltung, und vor allem der Ausnahmetänzer Arsen Mehrabyan als George Baines, mit der Kraft der ihm eigenen Sensibilität, in berührender, existenzieller Zerrissenheit. So gilt für mich nach wie vor, was ich am 16. Februar dieses Jahres auf tanznetz.de im Rahmen einer Rezension zum Dortmunder Ballettabend „Drei Streifen: Tanz“ geschrieben habe.

„Dass der Tänzer und erste Solist beim Dresdner Semperoper Ballett Jiří Bubeníček auch durch die Gefilde der Choreografie streift, lässt sich längst nicht mehr sagen. Er hat sich bereits einen Namen gemacht, gemeinsam mit seinem Bruder Otto, erster Solist bei John Neumeier in Hamburg, als Spezialisten für Sounds, Raumgestaltungen und Projektionen. In Dortmund bringen sie ihre tänzerisch wie optisch beeindruckende Kreation „The Piano“ nach dem gleichnamigen Film von Jane Campions zur Uraufführung. Auf Michael Nymans Musik können sie nicht verzichten. Otto Bubeníček hat zudem für die Choreografie seines Bruders im kunstvollen Lichtdesign von Carlo Cerri eine musikalische Collage „komponiert“, die von der Romantik bis in die Moderne führt und Musik der Maoris einfügt. Das sind Klangkorrespondenzen zu großflächigen Projektionen stürmischer Brandung an der Küste Australiens oder üppiger Vegetation von sinnlicher Urkraft, dann wieder in krassem Schnitt europäische, englische Bürgerlichkeit, wie sie die Kolonialmacht mitgebracht hat.

In dieser Welt optischer Widersprüche prallen die Widersprüche der Emotionen und Lebensansprüche aufeinander. Mit den Kostümen von Elsa Pavanel führt das Ballett in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Aber in der choreografischen Gestaltung der Konflikte zwischen der stummen Pianistin Ada McGrath, dem streng in sich selbst verschlossenen Alisdair Steward und dem zwischen den Welten seiner europäischen Herkunft und der Faszination für die Ursprünglichkeit der Ureinwohner changierenden George Baines gelingt es Jiří Bubeníček auf so verblüffende wie beeindruckende Weise, besonders im jeweils handlungsverbundenen Pas de deux, den dynamischen Bogen bis in die Gegenwart zu spannen. Immer wieder gilt es die Chancen der Aktualität, jenseits von Moden oder purem Zeitgeist verpflichteten Aktualisierungen, in der Würdigung der Traditionen zu suchen und zu finden.

So wie der Pianistin die Sprache versagt ist, sie aber mithilfe eines Instrumentes in ganz andere Bereiche der Kommunikation vordringt, die natürlich im Tanz ihr bestes Ausdrucksmittel finden, so ist jener Alisdair Steward auf andere Weise verstummt. Dmitry Semionov, den man selten dermaßen expressiv und charaktervoll als Tänzer und Darsteller mit Wahnsinnspotential erlebt hat, kann nur extrem und verletzend handeln und in wütendem Neid auf die Möglichkeiten des Ausdrucks kraft der Musik die Hand der Pianistin verstümmeln. Dass er so die eigene, ohnehin verkrümmte Seele vollends verstümmelt, lässt ihn in tragischer Einsamkeit zurück.

Andere Facetten eines so zerrissenen wie einsamen Menschen zeigt Arsen Mehrabyan als George Baines – einen Mensch zwischen den Welten, einen Mann zwischen ungebremster Emotion und pfiffiger Berechnung. Dabei ist es von großer Bedeutung für die so starken, berührenden Momente dieser Choreografie, wie sich die Männer jeweils in ihren Haltungen zu der Tänzerin Emylie Nguyen als stumme Pianistin verhalten. Und da kann der Choreograf zum Einen die individuellen Möglichkeiten seiner Protagonisten, zugleich aber das weite Spektrum der vom modernen Tanz veränderten und erweiterten Musikalität neoklassischer Vorgaben nutzen.

Und dies inmitten eines bestens aufgelegten Ensembles, in exotischen Szenen als Maoris, Landbevölkerung oder Matrosen, prägnant dabei Casey Hoskins als Flora, Jelena-Ana Stupar und Sayo Yoshida als Aunt Morag und Nessie oder Arsen Azatyan als so auf- wie durchgedrehter Reverend."

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