Aoife McAtamneys „Softer Swells“ bei den Tanztagen Berlin

Aoife McAtamneys „Softer Swells“ bei den Tanztagen Berlin

Sexy, innovativ und theoretisch

Die Sophiensaele öffnen sich für anderthalb Wochen den 24. Tanztagen

Klingt verheißungsvoll, was Anna Mülter in einem Interview zu ihrem Konzept sagt. Seit dieser Ausgabe ist sie neue Kuratorin der Tanztage und soll dem alten Format endlich frischen Schwung und neue Qualität geben.

Berlin, 07/01/2015

Klingt verheißungsvoll, was Anna Mülter in einem Interview zu ihrem Konzept sagt. Seit dieser Ausgabe ist sie neue Kuratorin der Tanztage in den Sophiensaelen und soll dem alten Format in seiner 24. Edition endlich frischen Schwung und neue Qualität geben. Was bleibt: Die Tanztage sind nach wie vor ein Podium für Berlins Nachwuchschoreografen. Mülter, mit Magister in Literatur- sowie Theaterwissenschaft, Publizistik, Soziologie und Philosophie, ist indes bei der Auswahl der Beiträge nach eigener Aussage keinen Trends hinterhergehetzt, noch hat sie Themen vorgegeben. Nur was sie überzeugend fand, erhielt eine Einladung. Eine „queere, nicht-normative Arbeitsweise“ sei ihr wichtig, sagt sie, und das passt gut zur offenen Atmosphäre im zeitgenössischen Tanz. Auffällig sei diesmal die Herkunft vieler Choreografen aus Bereichen wie Soziologie, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, sogar Physik und Biomedizin. Das kann die Sicht auf den Tanz weiten helfen. Weiten soll ihn auch die Kooperation mit internationalen Plattformen für junge Choreografen, heuer durch Teilnahme einer Tanzschöpferin aus Sri Lanka; dass ihr Kollege keine Einreise nach Deutschland erhielt, ist ein Verlust. Und, scheint es, Mülter strukturiert die Tanztage besser und öffnet ihnen das gesamte Haus.

Eingeleitet werden sie durch „Palais Idéal“, in dem sich die beiden Performerinnen Horwitz & Hess eine Landschaft aus Nebel und Licht spielerisch aneignen. Später am Eröffnungsabend wird sich die Irin Aoife McAtamney in einem Solo mit Geschlecht und Sexualität auseinandersetzen, während Martin Hansen in seinem Duo mit Ania Nowak queere Zeitlichkeit innerhalb der linearen Zeit des Theaters hinterfragt, was immer das meint. Bereits an diesem Abend beginnt, was sechs ChoreografInnen im 15-Minuten-Takt an Spielorten quer durchs ganze Haus vor jeweils einem Zuschauer zeigen: Nähe und Distanz, Aufhebung der Grenzen von Akteur und Publikum. „Strip Down To Everything“ nennt sich der Performance-Parcours zwischen Keller und Boden. Zu nächtlicher Stunde laden dann die Boys in the Woods zu einer spirituellen Erfahrung aus Konzert und Performance.

Queer konnotiert geben sich auch Steve & Sam, wenn sie in „Man Power Mix“ Materialien auf ihr maskulines Potenzial erkunden. Nach Bars und Kunsträumen stürmen sie jetzt die Sophiensaele. Als One-Woman-Show gestaltet die Schweizer Ich-AG Lea Moro Strawinskis „Sacre du Printemps“, indem sie alle Parts selbst tanzt. Bis zur Australierin Melanie Jame Wolf reicht der Sex-Trip: Ihre Erfahrungen als Stripperin in Melbourne verarbeitet sie nun zu einer Performance um Körperpraxis und Feminismus. Landsmännin Noha Ramadan untersucht „nur“ den unaufhörlichen Strom von Botschaften, bis deren Bedeutung zusammenbricht und in Bewegung umschlägt. Auch Vincent Riebeek bezieht sich auf ein Werk der Ballets russes. Anhand von „Spectre de la Rose“, nicht nur in Nijinskys Interpretation eine Paradebeispiel von androgyner Ausstrahlung, reflektiert Riebeek die eigene Rolle als männlicher Tänzer. Sein „Flaming Lamborghini“ widmet sich zudem der Bedeutung von Schönheit in Leben und Arbeit. „Meet me as a Stranger“ konfrontiert zwei Menschen und zwei Stile: einen Breakdancer und eine zeitgenössische Tänzerin auf der Suche nach Differenzen und Gemeinsamkeiten. Wenn der Tänzer Vincent Bozek und der Gesellschaftsforscher, Journalist und Eventmanager Simo Vassinen in „Talkshow“ Gäste aus Kunst, Clubkultur, Journalismus und Wissenschaft zum Diskurs über zeitgenössischen Tanz empfangen, dann, versprechen sie, wird die Talkrunde selbst zur Performance.

Zwei Beiträge fragen danach, wie im choreografischen Prozess Ideen entstehen. Aus einer diesbezüglichen Studie entwickelte die Französin Cécile Bally ein Solo, das die Ergebnisse am eigenen Körper überprüft. Die Engländerin Ligia Lewis hingegen erarbeitete unter anderem nach Stanislawskis Schauspieltechnik ein choreografisches Prinzip zur besonderen Intensität einer Rollenverkörperung. Dazu übersetzt sie Texte von Anouilh und Beckett in Bewegung von großer Traurigkeit. Heiterer dürfte es in Alexander Baczynski-Jenkins' Trio „Feeling real“ zugehen, dem Kehraus der Tanztage, der queere Londoner Clubkultur als sozialen Raum und sinnliche Infektion thematisiert. Ob dabei gleich, wie angekündigt, ein „hybrides Ritual für das 21. Jahrhundert“ entsteht, wird man sehen.

8.-18.1., Sophiensaele, Sophienstr. 18, Berlin-Mitte 
www.sophiensaele.com

Kommentare

Noch keine Beiträge