„Musiques et mots pour Emmanuel“ von Raimund Hoghe

„Musiques et mots pour Emmanuel“ von Raimund Hoghe

Tanzdank - eine Sternstunde

Raimund Hoghe-Uraufführung in Münsters Pumpenhaus

„Musiques et mots pour Emmanuel“ für und mit Emmanuel Eggermont ist ein Juwel zeitgenössischer Tanzkunst.

Münster, 03/07/2016

Dem Tänzer Emmanuel Eggermont widmet Raimund Hoghe zum zehnjährigen Jubiläum der Zusammenarbeit seine neue Choreografie. Was für ein Geschenk! Musiken und Worte für einen Tänzer, um dessen Körper umso beredter präsentieren zu können. Dabei: Eggermont verblüfft nicht einmal mit Serien von Grands jetés, perfekten Cabrioles, hoch gesprungenen Pas ciseaux oder Breakdance und sonst welcher halsbrecherischen Akrobatik. Er begnügt sich vielmehr mit minimalen Handzeichen wie dem Abknicken in den Gelenken, blitzschnellem Vibrieren der Finger wie Flügelschläge von Colibris, lang gehaltener Pose eines Golfers vor dem Abschlag, gezielten Wendungen des Kopfes und der Fußspitzen im Zeitlupentempo, winzigem Taillen-‚beben’, das jede Bauchtänzerin plump aussehen ließe.

Weißes T-Shirt und schwarze Hose, Socken und derbe Schnürschuhe legt er nach einer halben Stunde ab, um sich wenig später mittels völlig schwarzer Kleidung in die Silhouette seiner Selbst, des heutigen Menschen und Tänzers, in früherer Zeit zu verwandeln. Nun katzbuckelt er, kratzefußt, setzt geziert zum Menuett an - ist Diener, Höfling, Zeremonienmeister - ganz und gar menschliche Schablone, Marionette höfischer Etikette. Hoghe hat das andere Kostüm bereitgelegt und sammelt später die abgelegten Kleidungsstücke bedächtig auf. Großes Theater als Chiffre für künstlerische Demut.

Im Hintergrund tönen historische Rezitationen - u. a. von Oskar Werner mit der „Rede über den Schauspieler“ von Max Reinhardt und das von Hoghe verlesene Testament zweier afrikanischer Kinder, die 1999 als blinde Passagiere auf ihrem Fluchtflug nach Europa, um durch Bildung in Europa zu überleben, ums Leben kamen. Bach, Gluck und Mozart erklingen wohl gewählt, aber vor allem berührt Jacques Brels Chanson „Ne me quitte pas!“.

Das Ambiente ist perfekt am Abend dieser bemerkenswerten Uraufführung - der dritten einer Choreografie von Raimund Hoghe in Münsters Theater im Pumpenhaus. Hoghe hat den düsteren Raum mit den schweren Portieren und rustikalen Balken nach hinten mit einem weißen Tuch abgedeckt. Auch die Spielfläche ist weiß. Rechts bleibt ein Sprossenfenster des alten Industriegebäudes sichtbar. Die Abendsonne wirft das Muster auf den Rückprospekt - bis sie nach 40 Minuten untergeht.

Zu Beginn, als gerade noch die letzten Zuschauer ihren Platz suchten, erhob sich Raimund Hoghe vom Regiepult und umschritt mit regloser Miene forsch die Spielfläche, in der Hand ein winziges Kanu. Später tat es ihm Luca Giacomo Schulte nach, der bildende Künstler und Mitarbeiter Hoghes seit 1992, allerdings ohne Bötchen und im kleineren Umlauf.

An die fünfzigmal wohl macht Eggermont am Ende seinen mokant affektierten Kratzefuß mit barocken Verzierungen bis in die Fingerspitzen, bevor ganz allmählich das Licht verlöscht und die mütterlich besänftigende Stimme der Rezitatorin von „Happy days are here again...“ wie zu Beginn dieser Sternstunde modernen Tanzes unhörbar wird.

Niemand weiß besser als Raimund Hoghe, dass der Verzicht auf körperliche Eskapaden andere Qualitäten begünstigt. Er hat gelernt, mit weniger mehr zu sagen. Er versteht sich auf die Kunst, die Welt in ihrem Reichtum und Elend, ihren Traditionen und Schönheiten mit sparsamsten Mitteln zu zeigen. Hohges „Musiques et mots pour Emmanuel“ für und mit Emmanuel Eggermont ist ein Juwel zeitgenössischer Tanzkunst.
 

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