Leise und laute Töne
Pick bloggt über ein Wochenende in Trier
Pick bloggt über Susanne Linkes Uraufführung „NEMMOKNA“
Die Intellektuellen von Trier hatten sich letztes Wochenende im Theater eingefunden, um die erste Kreation ihrer weltberühmten Choreografin Susanne Linke mitzuerleben und kürten sie nach den fünf Viertelstunden ohne Pause mit Standing Ovation. Auch die zugereisten Freunde, Fans und Kritiker aus Berlin, Bremen, Essen, Wuppertal, Bonn, Düsseldorf, Frankfurt, München usw. waren offensichtlich mehr als zufrieden, sie „ANKOMMEN“ zu sehen. Neben dem Thema „Ankommen“, sich orientieren, positionieren, präsentieren, zugleich noch verloren und dennoch noch fremd sein, lag ein weiterer Fokus auf der tänzerischen Interpretation von Daniil Charms‘ Lautgedichten.
Ein spärlich beleuchtetes Individuum liegt am Boden auf der Hinterbühne, es erhebt sich, ohne Musik, und beginnt dann in langem Kostüm ein getragenes Solo zu Musik von Wagner, das mich sofort an Erda erinnert. Gleich schoss mir durch den Kopf, schade, dass Susa nicht mit Orchester arbeitet – da bemerke ich im Orchestergraben plötzlich Bewegung. Aber nicht die Philharmoniker wurden hochgefahren, sondern das Tanzensemble. Mit Kostümen aus vergangenen Zeiten erhebt sich aus dieser an Lemuren erinnernden Gruppe einer nach dem anderen und präsentiert ein Solo. Allerdings nicht im Stil dieser antiquarischen Kostümteile mit Kniehosen und Halskrausen, nein, man bleibt im zeitgenössischen Bewegungsvokabular.
Die Kostüme werden bald gegen Heutige getauscht und es folgt eine der unvermeidlichen Textszenen des zeitgenössischen Tanztheaters. Man redet wie einem der Schnabel gewachsen ist, polyglott, alle Sprachen, die im Ensemble vertreten sind. Auch die drei deutschen Texte machen – wie üblich – kaum Sinn. Nun bedient sich die Linke eines Coup de Theatre. Sie überrascht das Publikum nicht mit tänzerischen Kunststücken, wie man es vom Ballett gewohnt ist, sondern mit der Technik des Hauses, die nun alles zeigt, was sich bewegen lässt auf dieser schönen Bühne aus den sechziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts.
Als besondere choreografische Köstlichkeit hat sich mir ein Solo, getanzt von Luiza Braz Batista in einem eindrucksvollen roten Kleid, eingeprägt. Sergey Zhukov überwindet mit Kraft und Selbstverständlichkeit die fahrenden und verschieden hohen Hubpodien, als ob diese Bretter die Welt bedeuten. Der immer bis in die letzte Faser präsente Paul Hess gibt alles. Robert Przybyl scheint im wabernden Nebeln von der Hinterbühne zu den herrlichen Klängen Lohengrins direkt aus Bayreuth zu kommen – ich sehe in ihm spontan den Peter-Hofmann-Darsteller. Dann dreht sich nicht nur das Ensemble in Ballkleidung, die Bühne tut es ihm nach, bis ein Plafond, der sich aus dem Schnürboden senkt, sparsam Gold auf die Tänzer regnen lässt.
Ich bin sicher, auch die Abonnenten werden wie ich, nicht nur diese Schlussszene zu würdigen wissen. PS: für alle, die nicht selbst draufgekommen sind: „Nemmokna" heißt rückwärts gesprochen „Ankommen“.
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