Resisting Anthropocene
“Bare Bodies – Bodies & States of Exception” by Ursina Tossi at Kampnagel
Die Hamburger Choreografin Ursina Tossi zeigte ihr neues Stück „Resisting bodies. body-activism-dance“ im Kunstverein Harburger Bahnhof
Der schöne offene Raum wirkt trotz der abgedunkelten Fenster hell und klar. In der Mitte bewegen sich Körper wie die im Wind schwankenden Äste eines Baumes. Durchlässig und dennoch stabil verankert. Unaufgeregt und sinnlich. Ein Stimmengewirr erfüllt den Raum. Beugt man sich zu einer der kleinen Boxen herunter, die überall um die vier Tänzerinnen (Nora Elberfeld, Angela Kecinski, Silvana Suarez Cedeno und Ursina Tossi) am Boden verteilt sind, erklärt eine sanfte Stimme Körperübungen zur Ausführung. „Press your knees on the floor. Contract your neck. All the muscles are in tension“. Ein Prolog, der die für den Rest des Stückes anhaltende Stimmung einleitet, die den Zwiespalt von Weichheit und Stabilität aufgreift und ohne Auflösung bis zum Ende stehen lässt. Ins Schwanken gebracht und gleichzeitig ein widerständiges Sit-In: „We are ready. Sitting in a tree“.
Die widerständigen Körper erobern den Raum. In schwarzen Kapuzenpullovern gleiten sie über die Wände und an einem anderen Körper hinab, ein Einbruchsszenario wie in „The Bling Ring“? Im Hintergrund bahnt sich in einer Overheadprojektion ein Pinsel seinen Weg durch den Sand. Katrin Bethge gestaltet mit ihren Projektionen einen lebendigen Bühnenraum, in dem das Wasser zum Bass tanzt, die Farbe rot sich subtil am Boden ausbreitet und Bilder des körperlichen Aufstandes sich mit den Bewegungen der Tänzerinnen vereinen. Diese stellen sich kraftvoll gegen das vermeintlich unsichtbare Gegenüber, erheben die Fäuste und brüllen Parolen. Dabei verschwimmen ihre Stimmen ineinander und mit der Soundkulisse von Johannes Miethke, der den Raum mit Bahnhofsgeräuschen, Wassertropen, Aufstandsgewirr, Sirenen oder Gedröhn eines Hubschraubers füllt. Sound und räumliche Gestaltung verrücken den realen Bezug protestierender Körper, lassen ihn zum Einen skulptural werden und zum Anderen werfen sie ihn auf seine eigene Materialität zurück.
Dann glitzern die goldenen Brüste in der Projektion eines barbusigen nigerianischen Frauenprotestes, die Stimmen verstummen und nur noch die Münder bewegen sich im stillen Schrei. Ein andermal werden sie zu energetischen Grimassen und leiten den Maori Ritualtanz Haka ein, dessen Rhythmik die Kraft einer mobilisierten Masse verbreitet. Doch ein widerständiger Körper kann auch in Passivität aufscheinen, wenn sich die Tänzerinnen quer durch den Raum ziehen oder tragen und der Körper schwer, wie ein Stück Fleisch der Gravität nachgibt.
Es ist ein permanenter Aufbruch. Kein gehetztes, impulsives Losrennen, sondern ein kraftvolles Aufbegehren, das Verwurzelung und Losreißen als Paradox in sich vereint. Diese Aufbruchsstimmung ist allgegenwärtig und als Zuschauender ist man durchgehend auf- und herausgefordert teilzunehmen, einzuspringen, die Hände der Performerinnen zu greifen, wenn sie eine Menschenkette bilden. Oder auszuweichen und aus dem Weg geräumt zu werden. Vor allem in Momenten, in welchen man sich selbst als Passiver und damit störend erfährt in diesem artifiziellen Raum des Protestes, in dem selbst das in den Sand geschriebene und an die Wand projizierte Schlusswort „A.C.A.B. - All Cops Are Bastards“ weniger gewaltsam als vielmehr wie ein Widerhall der Mobilisierung nachklingt.
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