Im Zweifel für den Zweifel
Ein Fotoblog von Dieter Hartwig
Düster beginnt Rubatos neues Stück in den Uferstudios. Aus dem Dunkel schälen sich die Schemen der vier Tänzer, kippen leicht den Oberkörper ab. Begleitklang setzt ein, wie ihn Alexander Nickmann aus vorgefertigten Mustern einspielt, anschwellen lässt oder verzerrt, auch live perkussiv erzeugt und so jene flirrende Atmosphäre schafft, in der sich >flirren< soghaft entwickelt. Immer wieder legen die Gestalten den Arm um sich selbst, als wollten sie sich schützen. Elektronische Impulse halten sie ruckhaft in Gang und vereinen sie zum Gruppenkörper in enger Verquickung. Hände suchen sich, umschlungen tapst die blockhafte Gesamtfigur vorwärts, wandert breitbeinig durch den Raum, der sich über dem schwarzen Boden erhebt. Glänzend ist der und spiegelt das Geschehen. Erst nach Wicklerformen zu pulsendem Klang löst sich die Skulptur auf, ihre Teile taumeln wie versprengte Atome umher, recken die Arme zur Seite. Dann werden sie zu klanggesteuerten Robotern, fallen, strampeln, als sei der Boden elektrisch geladen. Jäh stoppt der Ton, erlischt das matte Licht.
Aus dem Dunkel hört man Keuchen, Wimmern, Zischeln und Schreie wie aus einem Alptraum. Als die Tänzer sichtbar werden, stehen sie isoliert, absolvieren unmerklich langsam schlafwandelnde Gänge. Ängstlich gefasst schreiten sie durch Unbekanntes, eng gebeugt, in Schlangenlinie, bis sich das Lauftempo zum Wirbel steigert, aus dem das Quartett zu Boden geht und in Sternform liegt. Der Klang raunt und hallt, dirigiert und dominiert den Tanz. Machtvolle Hörgebilde wachsen herüber wie aus irrealen Angstwelten.
Angst ist auch das Thema von >flirren<, wie es die „Rubatos“ Jutta Hell und Dieter Baumann gemeinsam erdacht, Hell inszeniert und choreografiert hat. Angst, liest man, vor den Krisen des noch jungen 21. Jahrhunderts, von Anschlägen über Bankenkräche, Umweltprobleme bis zum Rechtsradikalismus. Das lässt sich schwerlich in Tanz fassen, wohl jedoch die Gefühle, die solche Ängste im kollektiven Körper auslösen.
Sirenengeheul stachelt die Auflehnung an, rutschendes Gehen in Seitlage weist auf eine schräge, ihrer Form beraubte Welt hin. Nach einem Drehtaumel führen die Tänzer ihre Hände vors Gesicht, nicht zu plakativer Klage, sondern um zum Geräusch von Maschinen etwas zu zeigen, süffisant zu grinsen und sich dann gesenkten Hauptes zum gefassten Fries Kopfloser zu fügen. Spannungen zerreißen die Form, Hierarchien tun sich auf, wenn einer die anderen niederdrückt. Aus dem Kampf bilden sich in Schutzsuche oder zur Gegenwehr zwei verklammerte Paare. Immer wieder prallen dann die Partner aus dem Lauf zusammen, woraus ein wilder Wirbel entsteht, der Befreiung wie Wut der Verzweiflung bedeuten kann. Im Höhepunkt stoppt der Furor abrupt und überlässt es dem Zuschauer, ihn weiterzudenken. So spröde wie konsequent ist, was Jutta Hell ihren Interpreten Mercedes Appugliese, Anja Sielaff, Dieter Baumann, Carlos Osatinsky an Bedrohlichem über unsere Zeit in die willigen Körper gesenkt hat.
Bis 19.11. in den Uferstudios.
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