Papier
Fotoblog von Dieter Hartwig
Tanzfabrik Berlin: „At Close Distance“ von Christina Ciupke und Ayşe Orhon
Ein Raum, unendlich weit. Christina Ciupke und Ayşe Orhon haben ihn schwarz ausgehängt. Nur ein Stück an der Stirnwand ist weiß geblieben, und Christina Ciupke vergrößert ihn, einen Teil des Vorhangs zurückziehend, und gibt dem Ganzen damit etwas Theatralisches: Ein winziges Detail am Rande einer Aufführung in den Berliner Uferstudios und dennoch bezeichnend für eine Performance, die „die unmögliche Vergangenheit einer physischen Begegnung“ erforschen will.
Das klingt zunächst einmal sehr abstrakt, und tatsächlich halten sich die beiden zu Beginn zurück. Getrennt voneinander, lassen sie ihre Arme rollen: eine Bewegung, die bei aller Komplexität einfach erscheint, konzentriert, pur, von aller Äußerlichkeit befreit – so wie das Duo überhaupt, das zugleich Distanz und Nähe spüren lässt in einem Studio, das zunächst allein eine sich zerfransenden Lichtgasse erhellt. Vieles bleibt da den Abend über im Dunkel, und doch sind die beiden den Zuschauern immer gegenwärtig: Christina Ciupke in einem orange aufleuchtenden Angora-Pullover über der seidig aufglänzende Trikothose und Ayşe Orhon mit einem schwarzen Outfit. Sich einander einformend, arbeiten die zwei ihre Choreografie auf der Basis einer früheren Arbeit aus, die im Anschluss an „At Close Distance“ gezeigt wird, und doch ganz anders ist. Während in „kannst mich umdrehen“ aus dem Jahr 2011 die räumliche Entfernung fast explosionsartig überwunden wird, sucht sie sich hier auf unterschiedliche Weise ihren Weg. Mal kommen sich die Frauen fast liebend nahe, mal ähnelt das Anklammern einem Verzweiflungsakt. Immer aber sind die Begegnungen der beiden spannend, auch wenn das Duo von knapp einer Stunde Dauer mit spektakulären Effekten geizt. Es zwingt zum Hinschauen, und das ist gut so. Am Ende schließt Christina Ciupke wieder den schwarzen Vorhang. Aus dem Nebenraum erklingt Musik, nachdem zuvor Geräusche sekundenschnelle Zäsuren setzten. Eine Tür öffnet sich. Eine Bar wird hereingeschoben. Während der Raum ‚umgebaut‘ wird, kommen die Besucher in den Genuss von einem Glas Wein.
Danach heißt es noch einmal: „kannst mich umdrehen“ – diesmal allerdings nicht wie vor sechs Jahren an Nik Haffner gerichtet, der auch der neuen Arbeit beratend zur Seite stand, sondern an Ayşe Orhon. Die türkische Tänzerin, Bewegungstherapeutin und Harfenistin ist einen Kopf größer als die Master-Choreografin aus Berlin. Auch wirkt sie stabiler als die eher feingliedrige Kollegin, und doch ist es Christina Ciupke, die Maß nimmt, die den Gang wagt, die auf Ayşe Orhon immer schneller zugeht, bis es zum Clash kommt. Sie ist zunächst diejenige, die agiert, während die andere dem Ertragen die unterschiedlichsten Varianten abgewinnt. Erst später wendet sich das Blatt, als wär’s eine physische Paraphrase über Yin und Yang, um Halten und Gehalten-Werden, um am Ende auf eine beglückende Weise aufeinander zuzugehen. Der Rest ist Beifall.
Die Uraufführung fand im Rahmen von „Open Spaces“ und „Sommer Tanz“, ein Austauschformat der Tanzfabrik, das noch bis zum 28. Juli dauert.
www.tanzfabrik-berlin.de
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