Getanztes Öko-Märchen am Abgrund
Anton Lachkys „The Others“ bei den Regensburger Tanztagen
Kanadische Company 605 setzt glanzvolles Schlusslicht bei Regensburger Tanztagen
Mit einer packenden Vorstellung sind die 21. Regensburger Tanztage am Unitheater zu Ende gegangen. Der sechsköpfigen Company 605 aus dem kanadischen Vancouver gelang es problemlos, den überwältigenden Erfolg zu wiederholen, den sie mit ihrem ersten Gastauftritt vor drei Jahren erzielte. „Vital Few“, also in etwa „einige Wesentliche“, ist die über eineinhalbstündige aktuelle Choreografie betitelt, in welcher es um die Beziehung(en) von Individuum und Gemeinschaft geht. Ein Thema, das in seiner abstrakten Form eigentlich eher ein Stirnrunzeln verursacht als Glückshormone anzuregen und euphorische Reaktionen auszulösen.
Doch bereits bei dem bedächtigen Einstieg, als sich ein Tänzer nach dem anderen einfand und sich alle zu einer unförmigen Primaballerina verknäuelten, sorgte die Company für Gelächter. Da werden ein Bein, ein Arm, ein Kopf, der ausschert, reglementiert und rigoros zurück in den kollektiven Körper bugsiert. Die Gruppe agiert, trippelt, wogt zu einer knisternden historischen Arie wie ein zusammenhängender Organismus.
Auch später blitzen die darin liegende Leichtigkeit und tief schürfender Humor immer wieder auf. Sie geben der tänzerisch wie dramaturgisch anspruchsvollen, enorm präzise aufgebauten und ausgeführten Choreografie bei allem Ernst auch Witz und etwas scheinbar Müheloses. Mehrfach wechselt das musikalische Setting von wuchtigen Elektro-Beats zu maschinenartigen Klängen, Technorhythmen und einer vehement vorwärts drängenden Version von Gillespies „A Night in Tunisia“. Die dadurch ausgelösten veränderten Stimmungen, Raumwirkung und kulturelle Konnotationen setzt die hälftig mit Tänzerinnen besetzte Crew in aufregenden Bildern und Konstellationen höchst präzise und mit einer faszinierenden Körpersprache um. Die Tänzer umkreisen sich, gehen ihrer Wege, stoßen aufeinander, greifen Bewegungen auf, führen sie weiter, verschmelzen zusehends. Solange, bis aus den getrennt und autonom agierenden Individuen wieder etwas Größeres Ganzes geworden ist. Dann übernimmt wieder die Gruppe das Zepter, der Einzelne geht darin auf.
Manchmal erinnert das an heute fast verschwundene Raufereien im Bierzelt. Da konnte es schon mal heißen, alle drauf auf einen, bis von diesem nichts mehr zu sehen war. Solche Scharmützel konnten auch eine Art kollektive tänzerische Poesie entwickeln, in der das Individuelle zugunsten eines organischen Agierens abgetaucht war. Unterstützt wurde die großartige Performance (Regie: Josh Martin, Lisa Gelley) durch Spiegelfolien auf der Tanzfläche, geniale Videoprojektionen und eine ausgeklügelte Lichtregie (Robert Sondergaard) mit dramaturgisch unglaublichen Effekten. Mit dem Einsetzen der zerkratzten Schallplattenarie vom Anfang fingen die Tänzer an, die Folie Stück für Stück abzuziehen und an der nackten hinteren Bühnenwand aufzuschichten. Aber selbst ohne Boden unter ihren Füßen formten sie noch einmal einen ineinander verschlungenen Körper. Umwerfend!
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