Brillant getanztes Erzählballett
„Don Quixote“ von Victor Ullate wird an der Deutschen Oper Berlin bejubelt
Schon die Schreibweise „Don Quixote“ verrät, dass die Inszenierung des Berliner Staatsballetts statt auf Innovation auf Tradition setzt. Dieser neue „Don Quixote“ von Victor Ullate – 1997 für sein eigenes Ensemble entstanden – erstrahlt sozusagen als klassisches literarisches Erzählballett in neuem Glanz, zumal Victor Ullate zusammen mit Roberta Guidi die Bagno (Bühne, Kostüme) deutlich die spanischen Elemente herauskristallisiert und durch Beleuchtungseffekte sehr atmosphärisch zwischen den verschiedenen Erzählebenen oszilliert. Die Musik der ersten Fassungen des Balletts von Marius Petipa (1869) und Alexander Gorski (1900) wurde neu arrangiert und mit Kompositionen von José María Gallardo del Reys ergänzt.
Hinter einem antik gemusterten Gazevorhang sinniert Don Quixote im Bett inmitten seiner Bücher über seine Geschichten nach und steigt wie eine zum Leben erweckte fiktionale Figur in seine goldglitzernde, irrlichternde Rüstung, um zusammen mit Sancho Pansa loszuziehen und seine Rittervisionen zu realisieren. Das Geschehen verselbstständigt sich. Don Quixote beobachtet es größtenteils vom Bühnenrand aus, doch wenn ihn die Leidenschaft übermannt, greift er kampfbereit ein. Mit Rishat Yulbarisov als Don Quixote und Vladislav Marinov als Sancho Pansa gelingt das skurrile Paar mit märchenhafter Optik.
In den drei Akten folgt Ullate im Großen und Ganzen Petipas inhaltlicher Vorlage. Die Liebesgeschichte der Schankwirtstochter Kitra zu Basil, dem Barbier, steht im Mittelpunkt des ersten Aktes, von Polina Semionova und Marian Walter exzellent getanzt. Dieser kokett fächelnden Kitri kann niemand widerstehen, wiewohl Basil auch mit anderen Frauen in der Runde kokettiert. Mit Elisa Carilllo Cabrera als Straßentänzerin Mercedes taucht eine zweite Verführerin auf. Mit Alexej Orlenco in der Rolle des Toreros an ihrer Seite gelingt ein hochkarätiges Pendant, das durch die silberfunkelnde Optik allerdings etwas zu aufdringlich wirkt. Dazwischen funkeln die Freundinnen Kitris (Marina Kanno und Iana Balova) mit mädchenhafter Anmut. Federico Spalitta als tapsiger Edelmann und Aymeric Mosselmans als resoluter Wirt pointieren das Geschehen als komödiantische Witzfiguren.
Spanische Atmosphäre wird deutlich spürbar, sehr elegant, verführerisch zwischen flatternden Rüschenkleidern, geschwungenen Capotes der Toreros und Fächertänzen. Den angekündigten Flamenco bleibt Ullate bis auf einige Arm- und Handgelenkbewegungen allerdings schuldig. Das rhythmische Klatschen mit weit geöffneten Händen sind noch keine Palmas. Die Mantones dienen der Kostümdekoration, nicht dem Tanz. Nicht einmal die zusätzliche Gitarre zielt auf Flamenco. Mit einer Komposition von José María Gallardo del Reys, von Detlev Bork bestens interpretiert, entschied sich Victor Ullate für spanische klassische Musik, die sich unter dem Dirigat Robert Reimers nahtlos in Ludwig Minkus wohltemperierte Originalmusik einfügt und diese atmosphärisch aufpeppt.
Raffiniert ausgeleuchtet wird der zweite Teil zum spannendsten Part. Als Don Quixote mit dem Theaterstück der Gitanos konfrontiert wird, gelingen wunderbar surreale Traumsequenzen, wenn Don Quixote gegen blutende Monster kämpft, ihm Kitri als seine vergötterte Dulcinea erscheint und der Tanz der Dryaden mit ihrer Königin (Elena Pris) wie eine Halluzination erscheint.
Der dritte Teil mit vorgetäuschtem Selbstmord Basils und Hochzeits-Happy-End dehnt sich trotz burlesker Komik und tänzerischer Hochleistung durch die Konzeption der traditionellen Tanznummernrevue. Polina Seminova glänzt durch nicht enden wollende Drehungen auf Spitze, Marian Walter mit atemberaubenden Sprungkombinationen, das Corps de Ballett in immer neuen Kombinationen durch vorzügliche Synchronität. Das ist tänzerisch großartig, ästhetisch perfekt, ein Highlight des klassischen Erzählballetts, Märchenstunde und perfekte Unterhaltung zugleich. Und sicher eine Bereicherung für das klassische Repertoire des Berliner Staatsballetts. Die Standing Ovations am Ende zeigen die Begeisterung des Publikums. Doch wirklich interessant wäre eine moderne „Don Quixote“-Version.
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