Marco Goeckes Vertrag beendet
Die Staatsoper Hannover trennt sich mit sofortiger Wirkung von ihrem Ballettdirektor
Marilyn Monroe ist eine Legende – bis heute. Vom hübschen brünetten Teenager Norma Jeane Mortenson wandelte sie sich mit viel Ehrgeiz, Entschlossenheit und einigen Schönheitsoperationen zur platinblonden Filmikone mit neuem Namen, neuem Aussehen, neuem Wesen. Dank Andy Warhols Pop-Art-Bildern ist ihr Gesicht unsterblich. Sie inspirierte Elton John zu „Candle in the Wind“, Popsängerin Madonna kopierte zwischendurch für das Video zu „Material Girl“ sowohl das Aussehen der Monroe als auch ihr Image als verführerisches Sexsymbol. Damit hat die Vorreiterin der Selbstinszenierung geschafft, wovon Generation Selfie heute träumt: das selbstkreierte, virtuelle Abziehbild als Realität zu verkaufen und wahrgenommen zu werden – sogar über den Tod hinaus.
Doch Hannovers Ballettchef Jörg Mannes bleibt nicht an der Oberfläche. Er gräbt tiefer und versucht einen Blick hinter die makellose Fassade zu werfen. Im Fokus seines neuesten Stücks stehen die Sucht nach Anerkennung, der Geltungsdrang um jeden Preis und der damit einhergehende Verlust der eigenen Persönlichkeit. Das macht „Marilyn“ auch zu einer Parabel auf unsere auf Außendarstellung fixierte Zeit. In einzelnen Episoden stellt der Choreograf schlaglichtartig einzelne Stationen im Leben der amerikanischen Diva vor, die exemplarisch einerseits ihre enorme Strahlkraft aber auch ihre Zerrissenheit thematisieren. Wie einen Kreis legt Mannes sein Stück an und schildert den beruflichen Aufstieg und den privaten Fall des Stars.
Der Anfang verweist bereits auf das Ende. Die Bühne ist hell erleuchtet, eine platinblonde Gestalt liegt reglos auf einem riesigen Bett wie auf einem Katafalk, nervös und hektisch umtanzt von der Haushälterin. Ein Fingerzeig, denn so wurde die Schauspielerin tatsächlich gefunden, gestorben mit nur 36 Jahren an einer Überdosis Medikamente. Doch Marilyn erhebt sich, und nun rollt die Geschichte chronologisch ab. Es beginnt mit der Entdeckung der jungen Norma Jeane. Die hüpft gemeinsam mit anderen Standnixen im getupften 50er-Jahre-Badeanzug (Kostüme: Andrea Meyer) vor einer Schar Fotografen umher, die von ihr angezogen werden und sie schließlich umkreisen wie Motten das Licht. Der Weg nach Hollywood ist offen, die Verwandlung zur berühmten Leinwandgöttin auf Kosten ihrer eigentlichen Persönlichkeit beginnt.
Hierbei bedient sich Mannes eines Kunstgriffes, den er so ähnlich schon in seinem Stück „Henry VIII“ verwendet hat. Dort stellte er „Henry“ das innere Ich „H“ zur Seite. Auch in seinem neuesten Werk spaltet der Choreograf die Hauptfigur auf in „Marilyn“ (Giada Zanotti) und „Young Marilyn“ (Catherine Franco), die immer wieder gemeinsam auftreten und so die Suche nach der verlorenen Identität verkörpern. Und während Catherine Franco zart, unschuldig und anrührend versucht, mit dem Kunstwesen Marilyn in Kontakt zu treten, verkörpert Giada Zanotti die Diva abweisend und kalt, im rücksichtslosen Kampf gegen die unerwünschte, ursprüngliche Version ihrer selbst, bis sie sich vollkommen von ihr löst. Doch der Triumph hat seinen Preis. Der Wunsch nach Ruhm und Anerkennung wird übermächtig und trägt bereits den Keim des Scheiterns in sich.
Die verlorene Identität, das Wechselbad der Gefühle und die Zweifel der nach Perfektionismus strebenden, innerlich zerrissenen Frau spiegeln sich sowohl in der Musikauswahl von Punk über Filmmusik bis hin zu Klassik als auch in den schicksalhaften Begegnungen zwischen Marilyn und den Menschen, die sie beeinflusst haben. Da ist Joe, ihr erster Ehemann, verkörpert von Publikumsliebling Denis Piza. Der tanzt den gefeierten Baseballstar kraftvoll, feurig und aggressiv werbend, selbstbewusst und siegesgewiss. Doch im Augenblick der Erkenntnis, dass seine Frau die Karriere über die Liebe stellt, wird aus dem Erfolgstypen ein gebrochener Mann, der verzweifelt versucht, seine Frau vom Podest zu heben und wieder für sich zu gewinnen.
Da ist Arthur Miller (Orazio di Bella), der Literat, mit dem Marilyn weg vom Image des blonden Dummchens zur ernsthaften Schauspielerin driften will. Diese Eheanbahnung ist – choreografisch schlüssig – viel erotischer und poetischer als der Eroberungsfeldzug von Ehemann Nummer eins. Da sind die Kennedy-Brüder, mit denen Marilyn jeweils eine Beziehung gehabt haben soll und die betrogenen Präsidenten-Gattin Jackie, die sich zu Marilyns legendärem, frivol gehauchten Geburtstagsständchen „Happy Birthday, Mr. President“ gedemütigt windet.
Requisite und Ausstattung bleiben wie für Mannes' Stücke üblich angenehm reduziert. Die wenigen, klaren Farben der Kostüme und die immer wiederkehrende betonte Geometrie des Bühnenraumes wirken wie ein Zitat von Mondrian. Videoinstallationen unterstützen als Bühnenbild das Thema der jeweiligen Szene und dominieren nicht den Tanz. Bewusst verlässt sich der Choreograf auf die Kraft seiner Tanzsprache, die anmutig und ausdrucksstark das ganze tänzerische Können seines versierten Ensembles ausschöpft. Nur zwei Mal setzt er auf optische Effekte. Wenn Marilyn ihr verlorenes Ich im Spiegel sieht und durch Videounterstützung auf mehreren Ebenen und in unterschiedlicher Größe erscheint. Oder wenn mit Hilfe der Greenscreen-Methode die Tänzer in eine Original-Filmaufnahme von Präsident John F. Kennedy geschnitten werden. Das ist jedoch kein technischer Schnickschnack als Selbstzweck, sondern transportiert elegant die fließenden Übergänge von Sein und Schein.
Den Verzicht auf allzu viel mediale Unterstützung kompensiert Mannes durch eine Fülle choreografischer Ideen: Er zitiert Gesten, Kostüme und Filmausschnitte der Diva, verdeutlicht die Gefahr der Beliebigkeit eines künstlich geschaffenen Ichs, indem er sein ganzes Ensemble (auch die Männer) im berühmten weißen Plisséekleid und mit platinblonder Perücke auf die Bühne schickt. Wer das Original ist, macht jedoch Giada Zanotti mehr als deutlich. So intensiv, zielstrebig, berechnend, traurig-verloren und bezaubernd verkörpert sie die Rolle der Schauspielerin, dass sie den Zuschauer mitreißt in der emotionalen Achterbahnfahrt der ständig wechselnden Seelenzustände Marilyns.
Am Ende liegt die Ikone wieder regungslos auf dem mit weißem Satin bezogenen Bett. Nur diesmal erhebt sie sich nicht mehr. Und so bringt Mannes' Ballett nicht nur den Menschen Marilyn näher, sondern wartet auch mit einer moralischen Botschaft für die durch Social Media geprägte Gesellschaft auf: Wer aus sich selbst eine gefällige Kunstfigur macht und für deren Vermarktung auf dem Altar der medialen Interessen opfert, läuft Gefahr, sein eigenes Ich zu verlieren.
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