Staatliche Ballettschule Berlin– kein Ende in Sicht
Seyffert geht gegen Freistellung und Hausverbot vor. Bisher ohne Erfolg.
Im Foyer werden lauthals Flugblätter verteilt, die über die glimpflich verlaufene Bruchlandung des Berufspiloten Antoine de Saint-Exupéry 1935 in der afrikanischen Wüste informieren. Gruppen von Lesenden lagern als lebende Plastiken auf dem Weg in den Saal des Fontane-Hauses, einer Berliner kommunalen Spielstätte mit 1000 Plätzen. Die sind an drei Tagen nahezu ausverkauft, als auf der breiten Szene und ihrer Vorbühne die Geschichte vom „Kleinen Prinzen“ läuft. Saint-Exupéry hat sie 1943 veröffentlicht und damit einen Dauerhit gelandet: in 140 Sprachen übersetzt, in gut 140 Millionen Exemplaren verkauft. Er verarbeitet darin gleichnishaft sein Unbehagen über eine zunehmend auf Nutzen bedachte Welt und setzt ihr gegenüber die reine Sphäre des Jungen von einem fremden Stern, der auf der Erde zu finden hofft, was er auf dem winzigen Heimatplaneten nicht hat.
Vor galaktischen Videos mit Planetenrotation, Sternengefunkel und Spiralnebeln geht der kleine Prinz auf Suche in der Welt der Menschen und trifft dort auf die absonderlichsten Typen: den herrschsüchtigen König, der sein Volk und eine Ratte kommandiert; den Eitlen, der fortwährend die Robe wechselt und sich im Spiegel selbst bewundert; den Säufer, der sich wegen seiner Sucht zwar schämt, aber nicht die Kraft zur Veränderung aufbringt; den Sternezähler, der zu keinem Ende kommt und sich im Gezählten verheddert; den Laternenanzünder, der in seiner täglichen Routine gefangen bleibt; den Geografen, der über ein Heer uniformer Forscher gebietet, sie aus seinem gewaltigen Schreibtisch auftauchen und darin wieder verschwinden lässt. Dann verwirrt sich dem kleinen Prinzen die Sicht vollends, als eine Schlange und ein Fuchs ihn umschleichen, irre Jäger ihr Unwesen treiben und en travesti menschliche Rosen eine schräge Modenschau in Grellrot vorführen.
Die Irdischen, lernt der kleine Außerirdische, haben nie Zeit, sind stets unterwegs, ohne irgendwo anzukommen. Erst als er von der Schlange den tödlichen Biss erhält, kann er zu seinem Planeten und damit der geliebten Rose zurückkehren. Von dieser blauen Kugel aus, Symbol des „blauen Planeten“ Erde, winkt er den Zuschauern zu, unsterblich wie Petruschka, die russische Jahrmarktspuppe im gleichnamigen Ballett. Den Streifzug des kleinen Prinzen rahmt die Inszenierung mit Szenen um Antoine de Saint-Exupéry selbst: seine Sehnsucht nach Liebe, wie sie ihm schließlich die „rote Frau“ entgegenbringt. Diese Bilder auf der Vorbühne bei geschlossenem Vorhang leben von der starken Gestaltung durch das Paar und schaffen zugleich Pausen für den jeweiligen Umbau.
Ausgedacht hat sich dieses fantastische Zwei-Stunden-Ballett nach Saint-Exupérys Vorlage Gregor Seyffert, der künstlerische Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin. Tanzte er bei der Uraufführung 2005 im Anhaltischen Theater Dessau den Part des Fliegers noch selbst, liegen seit 2011 alle Rollen beim Landesjugendballett Berlin an der Staatlichen Ballettschule Berlin. Was die jungen Künstlerinnen und Künstler darin zu leisten haben, über das moderne Bewegungsmaterial auf der Basis klassischer Ausbildung und all die akrobatischen Boden- und Hebepassagen hinaus, schult ihr Gestaltungsvermögen für die künftige Theaterarbeit. Pedro Oliveira Brito und Renata Parisi sind das Paar, das auf der Vorbühne um Liebe ringt, er eher grüblerisch, hingebungsvoll sie. Brillante Typenstudien liefern in ihren Rollen ebenso die anderen DarstellerInnen; die spezielle Sympathie der ZuschauerInnen genießt freilich Saaya Iwata als quicklebendiger kleiner Prinz unter einer blonder Lockenperücke.
Was diese drei Vorstellungen eines Balletts, das bisher an die 100 Aufführungen erlebt hat und als Fördermaßnahme weiterhin im Spielplan des Landesjugendballetts bleibt, besonders macht: gemeinsam mit den gut 50 angehenden BerufskünstlerInnen tanzten auch rund 25 Flüchtlingskinder zwischen 10 und 17 Jahren. Sie kommen aus den Willkommensklassen dreier Berliner Schulen, wurden in einer Einführungsveranstaltung informiert, von vier Ballettpädagoginnen ab den Herbstferien in Proben vorbereitet und so Teil des international besetzten Landesjugendballetts. Eine löbliche und gemeinsame Initiative sowohl von Michael Bitomsky und Rebecca Berger aus dem Fontane-Haus als auch von Choreograf Gregor Seyffert und Direktor Ralf Stabel. „Damit nehmen wir ernst, was zum Gründungsauftrag des Landesjugendballetts gehört: die Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus anderen, nichtprofessionellen Schulen, um Talente zu gewinnen und, wie in diesem Fall, ein Zeichen in der Debatte um Zuwanderung zu setzen und für die Integration von Kindern und Jugendlichen zu wirken“, sagt dazu Ralf Stabel. Eine Fortführung solcher Initiativen ist angedacht.
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