„Le Sacre du Printemps“ von Antoine Jully

„Le Sacre du Printemps“ von Antoine Jully

Fluss und Rhythmus des Lebens

Uraufführung im Großen Haus des Oldenburgischen Staatstheaters

Mit Luca Veggettis „Am Ende unser Schatten“ und Antoine Jullys Interpretation von „Le Sacre du Printemps“ gibt es in Oldenburg erneut einen lohnenswerten Tanztheaterabend, dessen Stücke in ihrer Unterschiedlichkeit gut harmonieren.

Oldenburg, 16/04/2019

Hell leuchten die drei langen Metallstangen, immer wieder neu gehalten von drei Tänzern und drei Tänzerinnen im Licht der dunklen Bühne. Dabei bilden Körper und die Linien der Stangen geometrische Formen, Räume und Grenzen und gehen immer wieder neue Verbindungen miteinander ein. Auch die Konstellationen zwischen Männern und Frauen wechseln. Eine Tänzerin spricht stumm einen Text in die Ferne. Schatten erscheinen auf der Bühnenrückseite, lassen neue Bilder aus schwarz, blau, weiß und grau entstehen. Sie geben viel Raum, die Beziehungsgeschichte von Pelléas und Mélisande in all ihren Facetten zu begreifen. Verloren wie aus dem Königskinder-Volkslied stehen sie sich am Ende gegenüber.

Seine Choreografie nach dem Schauspiel-Drama „Pelléas und Mélisande“ von Maurice Maeterlinck und der gleichnamigen Musik von Arnold Schönberg hat der italienische Choreograf Luca Veggetti mit einem Zitat aus der Schlüsselszene des 1893 entstandenen Dramas benannt. „Am Ende unser Schatten“ versucht den Kern des Dramas mit der Sprache des Tanzes wiederzugeben, ohne einem linearen Handlungsstrang zu folgen. Das sechsköpfige Ensemble, welches das Dreieck der Beziehung spiegelt, aber auch jeweils eigene Dynamiken entwickelt, spielt mit seinem Tanz eine eigene Musik. Wiederkehrende Formen und Bewegungsmuster erzählen die Handlung wie aus dem Innenraum der Figuren.

Vegettis Choreografie schöpft aus unterschiedlichen Kunstformen, wie der Malerei, der Architektur, des Schauspiels und der Lichtkunst und findet damit inhaltlich sowie in der künstlerisch-theatralen Darstellung einen ganz eigenen Ausdruck und Rhythmus. Den eher beschreibenden Charakter von Schönbergs Musik kontrastiert Veggetti mit assoziativen, abstrakten Tanzbildern und bringt - aus der Dunkelheit des Bühnenraums heraus - alles in einen Fluss. Nichts wirkt dabei aufgesetzt oder überhöht, sondern unaufgeregt schön, beinahe klassisch. Und so verschmelzen Licht, Schatten, Musik, Darstellung und Tanz zu einem, in jeder Hinsicht, wunderbaren Ganzen.

Igor Strawinskys „Le sacre du Printemps“, 1913 choreografiert von Vaslav Nijinsky wurde bei seiner Uraufführung in Paris zum Theaterskandal und dann zum Schlüsselwerk der Moderne des 20. Jahrhunderts, das von zahlreichen ChoreografInnen immer wieder als Stoff genutzt wurde - etwa Mary Wigman 1957, Maurice Béjart 1959, Pina Bausch 1975 oder Sasha Waltz 2013. Bei Antoine Jully steht die Gruppe im Mittelpunkt und auch bei ihm wird in dieser Hymne an das Leben - wie bei den meisten anderen Interpretationen - am Ende eine junge Frau aus der Masse geopfert.

Von Anfang an bestimmt der starke Rhythmus von Strawinskys Komposition das Geschehen. Doch Jullys Choreografie folgt auch einer Melodie und wirkt dadurch fließend, in ihrer Geschwindigkeit flirrend und vor allem leicht wie ein großes Spiel. Hände flattern, TänzerInnen schlagen kniend den Rhythmus auf den Boden, rollen bäuchlings über die Bühne, fliegen wie ein Vogelschwarm, springen sich an, umschlingen sich, fallen wieder auseinander wie Käfer oder Blütenblätter im Wind. Mit den von der Bühnendecke hängenden Geäst und dem ganz in hellblau gekleideten Ensemble - die Männer in Slips, die Frauen in an antike Gewänder erinnernde kurze Kleider - wirkt Jullys Version wie eine regelrechte Frühlings-Explosion. Im Tempo mit der Musik passiert beinahe alles gleichzeitig, und zwar meist mit dem gesamten Ensemble auf der Bühne. Dazwischen gibt es mal Duos und kleinere Gruppen, die jedoch im großen Spektakel etwas untergehen. Die begeisternde Energie auf der Bühne nimmt das Publikum mit - wie an einem schönen Frühlingstag, nach langem Winter.

Jullys „Le Sacre du Printemps“ ist voller Esprit – sei es in seiner Inszenierung wie auch in der Bewegungssprache, die in Oldenburg ungewöhnlich neu daherkommt. Doch verschießt sie anfangs ihr Potential so sehr, dass es im Verlauf keine Steigerung mehr geben kann. Dann ist alles gesehen und nur noch Wiederholung. So bleibt der Opferwurf am Ende auch nur ein halbherziger Schluss und kein Höhepunkt.
 

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