So stirbt eine Primaballerina
Ein Nachruf auf Ludmilla Naranda
Seine Kreativität kannte keinen Ruhestand. Umtriebigen Menschen wie Ivan Sertić fiel immer wieder Neues ein, um sich künstlerisch zu verwirklichen. Tatenlos dasitzen und Däumchen drehen – das war für den weit über seinen 90. Geburtstag 2017 bewundernswert fitten ehemaligen Solisten und Choreografen undenkbar. Täglich noch 30 Minuten trainierte er an der Stange. Eine Menge Zeit verbrachte er außerdem in seinem Atelier, wo aus bemalten Teilchen und mitunter zweckentfremdeten Küchenutensilien farbenfrohe Collage-Bilder entstanden. Am 15. Mai ist Ivan Sertić nun nach längerer schwerer Krankheit im Alter von 93 Jahren gestorben.
Seit 1973 lebte Ivan Sertić mit seiner Ehefrau und Ex-Ballerina Ludmilla Naranda in München, in der Au. Der Weg zum Gärtnerplatztheater sollte kurz sein. Am Ballettgeschehen in der bayerischen Landeshauptstadt, das einst von ihnen aktiv mitgestaltet wurde, nahmen beide weiterhin regen Anteil. Intendantenlegende Kurt Pscherer – ein Vollblut-Theatermensch, da war sich das Paar einig – hatte den aus Zagreb stammenden Kroaten als Leiter des kleineren staatlichen Tanzensembles nach München geholt. Mit zahlreichen Handlungsballetten, darunter „Don Quixote“ („Pscherer wollte Publikum haben“), aber auch originellen Uraufführungen zu Kompositionen von Darius Milhaud, Theodore Antoniou, Luciano Berio oder Carlos Heinrich Veerhoff feierte Sertić hier bis 1985 große Erfolge. Vorausgegangen waren Karrierestationen als Solist am Nationaltheater Zagreb, das Engagement in Frankfurt unter Walter Gore und Tatjana Gsovsky sowie Ballettmeisterposten in Heidelberg, Lübeck und Wuppertal. Tourneen in ganz Bayern steigerten das Renommee seines Gärtnerplatz-Balletts.
Besonders in Erinnerung geblieben sind Sertićs einfallsreiche Fassungen von Prokofjews „Cinderella“ und Delibés „Coppélia“ – letzteres ein echter Zuschauermagnet, der insgesamt 100 Mal auf dem Programm stand. Darüber hinaus prägte er den Spielbetrieb des Mehrspartenhauses mit musikalisch modernen Werken wie Henzes „Undine“ und einer Neueinstudierung von Werner Egks Skandal-Tanzstück „Abraxas“ oder mit seiner Version des Beethoven-Balletts „Die Geschöpfe des Prometheus“. Zu eigenen Abendfüllern gehörten das Choreografische Gedicht „Nächte in spanischen Gärten“ zu Musik spanischer Komponisten und das Ballett „Frühling, Sommer, Herbst…“ auf Stücke von Verdi, Dvořák, Webern, Saint-Saëns und Bartók. Hoch in der Gunst des Publikums standen aber auch lustige Kurzballette wie „Picknick“ zu Schuberts „Forellenquintett“. Für dessen Entstehung blieb Sertić im Trubel der von Kurt Pscherer eingeforderten Opern-, Operetten- und Musicaleinlagen nur mehr ein Bruchteil der geplanten Probenzeit.
Als erster brachte Sertić später – auf Bitten von Konstanze Vernon – den Schüler*nnen und Student*innen der Heinz-Bosl-Stiftung die Fächer National- und Charaktertanz nahe. Man kannte sich aus Berlin, wo Sertić Ende der 1950er Jahre im Auftrag von Tatjana Gsovsky für die junge Berliner Tanzabsolventin Vernon einen frühen „Pas de Quatre“ kreiert hatte. Nebenher entstanden noch weitere Choreografien – u.a. in seiner kroatischen Heimat und der Schweiz. An die 80 Ballettwerke sind es schließlich geworden. Sein letztes, das zeitgenössische Ballett „Bernarda Alba“ zu Musik des Zagreber Musikbiennale-Gründers Milko Kelemen wurde 1999 mit dem ersten Preis und Sertić selbst 2011 für seine Verdienste um die Entwicklung des kroatischen Balletts ausgezeichnet. Eine beachtliche Lebensleistung. Nur eines bedauerte der Künstler: Dass sich sein Total-Theater-Konzept eines Anne-Frank-Balletts in München nicht mehr verwirklichen ließ. Der Wunsch, dass sein großes München-Panorama aus dem Jahr 2008 – eine liebevoll zusammengestellte Kollage sämtlicher Sehenswürdigkeiten der Isarmetropole – im Stadtmuseum hängt, könnte dagegen posthum irgendwann doch noch in Erfüllung gehen.
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