Betanztes Pompeji
„Pablo Picasso at Pompeii. Two Ballets from the Roman Theatre at Pompeii“ auf Blu-Ray
Als 79 nach Christus beim Ausbruch des Vesuvs das antike Pompeji verschüttet wurde, gab es die Commedia dell’arte noch nicht: Sie entstand rund 1500 Jahre später als eine Art venezianischen und neapolitanischen Volkstheaters. Rückgeblieben von Pompeji ist nach intensiven Ausgrabungen, neben zahllosen eindrucksvollen Ruinen, auch das griechische Theater in römischem Nachbau – und dies in noch bespielbarer Erhaltung. Anlass beides zusammenzubringen – jenes römische Theater und die Commedia - war, dass vor 100 Jahren Jean Cocteau und Pablo Picasso, Schriftsteller der eine, Künstler der andere, gemeinsam Neapel und Pompeji besucht hatten, um Inspiration für ein neues Ballett im Auftrag von Sergej Diaghilev zu sammeln.
Daraus entstand „Parade“, ein sperriger, 1917 von den Ballets Russes in Paris uraufgeführter Einakter für acht Darsteller*innen. Ein amerikanischer und ein französischer Manager, beide mit gewaltigen kubistischen Aufbauten anstelle eines Kopfes, versuchen darin, das Publikum in einen Zirkus zu locken. Dessen Akteur*innen, ein mystischer chinesischer Zauberer, ein elegantes Akrobatenpaar, ein von Menschen humorig gestaltetes Pferd sowie ein sprühendes amerikanisches Mädchen, geben Kostproben ihres Könnens, doch offenbar finden sie kein Publikum. Einen weiteren Inhalt gibt es nicht, Star aber sind Picassos Kostümentwürfe und sein 11 mal 17 Meter großer Vorhang, wohl sein größtes Kunstwerk überhaupt. Léonide Massine schuf nach Cocteaus Libretto die Choreografie, sein Sohn Lorca Massine hat sie nun, nach zahlreichen vorherigen Inszenierungen, nahe dem Original neu einstudiert. Getanzt wird „Parade“, das als Manifest des Kubismus auf dem Theater gilt, auch als Gleichnis auf das Desinteresse an Kunst während des Ersten Weltkriegs gelesen werden kann und selbst heute noch ungewöhnlich wirkt, im antiken Ambiente hingebungsvoll vom Ballett der Oper Rom.
Konkreter zur Sache und auch zum Genre Commedia geht der zweite Teil des Abends. Nach Erik Saties spröder „Parade“-Komposition trägt Giovanni Battista Pergolesis Musik in Igor Stravinskys volksnaher Orchestrierung ausgesprochen wohlwollend die Geschehnisse um den Schwerenöter Pulcinella, der Liebeshändel stiftet und wieder schlichtet, dabei beinahe zu Tode kommt, jedoch mit Witz der Attacke zweier Galane auszuweichen versteht.
Fast taggenau drei Jahre nach „Parade“, 1920, schuf Massine die Choreografie mit der Personnage der Commedia und in der Ausstattung von wiederum Picasso. Der Tanz changiert zwischen Spitze für die Frauen bis zu Folklorezitaten, ist allenthalben lebensprall dicht, technisch anspruchsvoll, amüsant in seinen Verwicklungen und beeindruckt gegen Ende mit einem Aufmarsch von zwölf kleinen Pulcinelli im Trauerzug für den vermeintlich erstochenen Namensgeber. Nicht zuletzt zehrt die temporeiche Regie von Italiens Starballerina Eleanora Abbagnato vom bezaubernden Zusammenspiel zwischen Claudio Cocino als agiler Titelgestalt und Rebecca Bianchis charmanter Pimpinella. Sechs Kameras fangen turbulent mittanzend die rasanten Aktionen ein, Pompejis herabsinkender Abend addiert der Bühnenbeleuchtung sein der Zeit entho-benes Naturlicht.
„Pablo Picasso at Pompeii. Two Ballets from the Roman Theatre at Pompeii“, Corps de Ballet of the Teatro dell’Opera di Roma, 63 Minuten, nur als Blu-Ray Disc, Arthaus Musik, 2018
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