„Damals lebte ich noch im Präsens“
Skoronel Reloaded/Judith Kuckart: „Die Erde ist gewaltig schön, doch sicher ist sie nicht“ in der „Wartburg“ Wiesbaden
Als Schriftstellerin hat sich Judith Kuckart längst einen Namen gemacht. Aber wer erinnert sich noch daran, dass die Tänzerin Kuckart, ausgebildet an der Folkwang-Hochschule, 1984 in West-Berlin mit vier anderen das TanzTheater Skoronel als freie, professionelle Gruppe gründete? Über die Jahre entstand ein festes Ensemble aus sechs bis acht Schauspieler*innen, Tänzer*innen und Sänger*innen. Bis zu seiner Auflösung 1998 entstanden 17 Produktionen. Aber was heißt das schon in Berlin? Als Kuckart für ihr neues Stück „Die Erde ist gewaltig schön...“, in dem sie sich mit „ihren“ Tänzer*innen an die gemeinsame Vergangenheit und vor allen Dingen das Leben danach theatralisch und tänzerisch erinnern wollte und Förderung beantragte, war niemand bereit, das Projekt „Skoronel reloaded“ zu finanzieren, vermutlich mangels „Diskursfähigigkeit“.
In NRW war das anders und so konnte sich Kuckart in einen aufwändigen Prozess wagen. Ihre Idee, das achtköpfige Ensemble (sieben Tänzerinnen, ein Tänzer) zu bitten, Tagebuch zu führen, erwies sich als Glücksgriff. Denn Corona vereitelte lange die gemeinsame Arbeit im Studio. Entstanden sind Texte, die oft mit Fragen beginnen: „Wie ist das alt zu sein?“ „Warum machst Du hier mit?“ „Was ist schon normal?“ Und dann wird vom Leben erzählt, mit Bewegungen, mit Schritten, begleitet von Musik, historischem Material und einem aktuellen filmischen Probentagebuch. Stühle und zwei Monitore flankieren das Geschehen auf der Bühne in der „Wartburg“, einem alten, kleinen Theater in Wiesbaden. Facette um Facette entsteht das Bild einer Gemeinschaft, die sich mal gut kannte, zusammenarbeitete und sich dann in alle Winde verstreute, sich auf Zeit wiedergefunden hat und zusammen die Höhen und Tiefen ihrer Existenz durchmisst. Ohne – und das ist bemerkenswert – zu klagen, sich zur Schau zu stellen oder sich zu entblößen. Selbst die anrührendste Szene im Stück, als sich alle zu einem Kreis formen, ihn öffnen und die älteste Tänzerin (73 Jahre) nackt in ihrer Mitte steht, mit dem Rücken zum Publikum, ihren alten Körper den Blicken preisgibt und dann wieder von den anderen umschlossen wird, ist keinen Moment peinlich.
Judith Kuckart nimmt das Alter ihres Ensembles, ihr eigenes ernst. Alle haben sich dem Thema ohne Schönfärberei ausgesetzt. Der „prekäre Tanz durch die Jahre“ ist gezeichnet von Armut, Krankheiten, Einschränkungen, Einsamkeit und doch haben Tänzer*innen vielleicht etwas, was andere im Alter nicht haben: Haltung: „Es sind Haltungen, die den Halt geben“ heißt es im Programmzettel. Und das sieht man allen auf der Bühne an, egal wie das Alter ihre Körper geformt hat. Sie waren Tänzer*innen, sie bleiben Tänzer*innen und der Tanz hat sie beschenkt. Auch die Schriftstellerin Kuckart: „Ich glaube, es geht schon los mit dem täglichen Aufstehen. Ich weiß nicht, ob ich diese Strukturiertheit und Disziplin hätte, wenn ich nicht getanzt hätte. Das heißt nicht, dass ich mit gespitzten Füßen am Schreibtisch sitze, oder mit schöner Nackenhaltung. Aber innerlich habe ich mit dem Hinterland Tanz im Rücken die Möglichkeit, mich zu ermahnen. Mach weiter, du schaffst das. Mach was draus!“ Nicht aufgeben! Auf einem kleinen Zettel, den ich aus einer der Stullendosen genommen habe, die am Ende des Stücks dem Publikum offeriert wurden, war zu lesen: „Entscheide mich vorerst doch für: heiter weiter.“
Dieser Abend ist melancholisch, komisch, gegenwärtig, poetisch und sei allen, die vor dem Alter nicht davonlaufen, sondern auch die Schönheit in Jahresringen/Lebenserfahrungen zu erkennen vermögen, ans Herz gelegt.
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