Künstlerische Kollektivität
Grupo Oito zeigen mit „Break & Connection“ im Berliner Oyoun ihre Weiterentwicklung als kreative Gemeinschaft
Katja von der Ropp, Dramaturgin dieser, ihrer zweiten Produktion für Grupo Oito, verrät schon etwas zum Inhalt. Um Innehalten und Nachdenken geht es darin, sagt sie. Um brennende Fragen, etwa: Wie leben wir, wie wollen wir leben, wie schaffen wir die Grundlagen für ein neues Miteinander? Welches Verhältnis haben wir zur Natur und wohin geht die Menschheit? Ob die Kreation auf solche globalen Themen eine Antwort weiß und welche, macht neugierig. Auch Spiritualität, Bezüge zu Religionen, der Problemkreis Vereinzelung und das Übermaß von Wettbewerb in unserer Gesellschaft beschäftigen die Mitglieder von Grupo Oito. Jeder beschreitet seinen eigenen Weg, dennoch dreht es sich auch um Verbindendes und um Sehangebote an den Zuschauer.
„Break & Connection“ arbeitet nicht in erster Linie mit Tanz, sondern eher mit performativen Elementen, Text, auch mal einem Lied und der Bewegung allgemein als Schwerpunkt. Sie vollzieht sich im Raum, der Zuschauer wandert mit, eine klare Blickrichtung ist nicht vorgesehen. Die Bühnenelemente, so Plastikbeutel oder Kisten, alles Zitate früherer Stücke wie auch manche Bewegungssequenz, sind auf der gesamten Szene verteilt. Insofern, sagt Katja von der Ropp, sei „Break & Connection“ auch eine Art Rückblick auf die Arbeit von Grupo Oito während der vergangenen Jahre seit Gruppengründung 2006 durch Ricardo de Paula. Er ist Choreograf und Regisseur der Uraufführung.
Dennoch, und dies ist die zweite Premiere des Abends, hat sich innerhalb der Gruppe etwas verändert. Gab es seit Anbeginn aktive Mitarbeit der Tänzer*innen, so ist seit dieser Produktion der Gedanke eines kollektiven Miteinanders stärker ins Zentrum gerückt. Noch mehr arbeitsteilig soll es künftig bei Grupo Oito zugehen, jeder bringt ein, was er oder sie zusätzlich zum künstlerischen Prozess leisten kann. Förderanträge sind zu stellen, Entscheidungen über neue Kooperationen zu treffen, die Gruppe ist in sich zu organisieren, das Produktionsbüro zu besetzen. Um künstlerische Grafik in den Stücken geht es und um die Außenkommunikation – vieles, was der Zuschauer nicht sieht, was jedoch das Funktionieren einer Gruppe ausmacht. Ein Kollektiv soll Grupo Oito werden, und das sei, meint Katja von der Ropp, kein fertiger Zustand, sondern ein kreativer Prozess, der Aufgaben, Pflichten und Verantwortlichkeiten auf alle Schultern verteile.
Mit einer Basisförderung durch den Berliner Kultursenat noch zwei weitere Jahre und Förderung bis 2023 auch durch den Fonds Darstellende Künste ist Grupo Oito zunächst finanziell gesichert und kann längerfristig planen. Fünf der im Kern sechs festen Gruppenmitglieder stehen in „Break & Connection“ auf der Szene, ergänzt durch zwei Gäste. Wie sich die neue Situation in der Gruppe spiegelt, berichten drei der fixen Mitglieder. Natalie Riedelsheimer, Absolventin der „Etage“ in Berlin und seit 2010 bei Grupo Oito, mag kollektivbasierte künstlerische Arbeit, schätzt politischen Anspruch über das einzelne Tanzstück hinaus und weiß sich damit bei der Gruppe aufgehoben. Den Körper empfindet sie als faszinierendes Universum, plädiert für Festlegungen im Konsens und scheut nicht den Prozess dorthin. Die Verantwortlichkeiten wechseln je nach Stück, sagt sie und genießt das Mehr an Sicherheit durch die beiden Förderungen: Sie brauche momentan nicht mehr nebenher jobben zu gehen.
Seit 2013 gehört die vielseitig ausgebildete Brasilianerin Caroline Alves zu Grupo Oito und verfügt über 20 Jahre Tanzerfahrung. „Wir engagieren uns nun mehr“, erklärt sie, „denken mehr über uns als Tänzer*innen nach und weshalb wir was wie ausführen. Obwohl Ricardo die zentralen Entscheidungen trifft, sind wir Teil davon und Mitschöpfer.“ Kollaboration und mehr Vertrauen ins Kollektiv nennt sie als Stichwörter. In einem gerade entstehenden Soloprojekt reflektiert sie weiß Sein und die koloniale Vergangenheit, die in ihrem Körper verwurzelt ist. Grupo Oito habe maßgeblich ihre Sichtweise beeinflusst.
Capoeira, Akrobatik und Jonglage hat der Brasilianer Miro Wallner praktiziert, ehe er sich gleichfalls 2013 Grupo Oito angeschlossen hat und bis jetzt in sechs Stücken besetzt war. Er habe den festen Glauben, dass Tanz in die Gesellschaft hinein wirken, unsere Realität verändern kann. „Unsere Arbeit fragt“, so betont er. „Sie bietet keine Lösungen an.“ Als Beispiel nennt er „Ubiquitous Assimilation“, die Vorgängerproduktion, aufgeführt im Lichthof des Gropiusbaus als ungewöhnlichem Spielort: Wir beginnen kurz in der Vertikalen, mit Linien gen Himmel, ehe wir uns stücklang in der Horizontalen auf einer Pyramide bewegen, nach oben wollen und immer wieder herunterfallen. Wie bewegt man sich in einer instabilen Situation, sei das Thema, und das sei durchaus metaphorisch gemeint. Im Kollektiv ist er auch für die Website zuständig, so wie jeder dort mitentscheiden solle, wo er oder sie Kompetenzen besitzt.
Bliebe noch die dritte Premiere. Sie bezieht sich auf den neuen Spielort im Stadtbezirk Neukölln, den sich Grupo Oito mit „Break & Connection“ erobert. „Oyoun“ heißt er, mit Kultur NeuDenken als Träger, was Arabisch „Blick“ oder „Auge“ bedeutet, und ist nicht ohne disharmonische Begleiterscheinungen seit 2020 Nachfolger der beliebten „Werkstatt der Kulturen“, die Jahrzehnte Kultur aus aller Welt präsentierte. Auf großzügigen 3500 Quadratmetern, verteilt über mehrere Etagen, setzt das gemeinnützige Kulturzentrum Oyoun, so zu lesen in seiner Selbstdarstellung, Projekte aus allen Bereichen der Kunst unter dekolonialem, queer*feministischem und migrantischem Blickwinkel um. Grupo Oito passen da gut ins Programm.
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