Erotik in Zeiten von Corona

Herzlicher Empfang in der Schweiz für die Cie. La Ronde und ihr Stück «8»

Im Jahr 2020 fanden sich zwölf in der Schweiz lebende Tanzschaffende unter der künstlerischen Leitung von Cathy Marston und Ihsan Rustem zur Cie.La Ronde zusammen. Während der Corona-Pandemie kreierten sie die Choreografie «8», die sich an Arthur Schnitzlers Theaterstück «Reigen» anlehnt.

Winterthur, 09/04/2022

Nein, es geht nicht hauptsächlich darum, wie sich Liebe und Erotik in Corona-Zeiten veränderten. Wohl aber sind die Cie.La Ronde und ihr erstes Stück «8» über Liebe und Erotik während der Corona-Quarantäne entstanden.

Und das kam so: Cathy Marston und Ihsan Rustem, beide in der internationalen Tanz- und Ballettszene verwurzelt, in England geboren, aber in der Schweiz lebend, sahen sich wegen der Corona-Pandemie künstlerisch in ihrem Gastland gefangen. Dabei waren sie voller Ideen und Pläne.

Sie taten sich zusammen, engagierten mit Caroline Finn und Luca Signorett zwei weitere Choreograf*innen sowie acht Tänzerinnen und Tänzer, meist aus dem Ausland stammend, aber in der deutschen oder französischen Schweiz tätig. Zusammen erabeiteten sie in der neu gegründeten Kompanie ihr erstes Stück namens «8» und brachten es jetzt im Theater Winterthur zur Uraufführung.

Es wurde ein eindrücklicher Abend. Acht Pas de Deux in wechselnden Partnerschaften fügen sich zu einer Geschichte zusammen, die sich im Kreise dreht.  Es geht um Beziehungen zwischen den Geschlechtern, um Verführung, Schmusereien, Eifersucht, sexuelle Übergriffe oder manchmal auch echte Liebe. Klar, dass es hier nur so sprüht von Konflikten und Spannungen, die sich tänzerisch kreativ umsetzen lassen.

Anleihen für «8» hat die Kompanie bei Arthur Schnitzlers «Reigen» gemacht. Dieses kurz vor 1900 entstandene, von Skandalen umwitterte Theaterstück zeigt, wie es die Dirne mit dem Soldaten, der Soldat mit dem Stubenmädchen, das Stubenmädchen mit dem jungen Herrn und sieben Szenen später der Graf mit der Dirne vom Anfang treiben. Eine erotische Abfolge voller Doppelmoral, Machtmissbrauch, Scheinheiligkeit und Melancholie. «8» übernimmt den Rundherum-Aufbau von Schnitzlers Drama, nicht aber die einzelnen Charaktere. Gezeigt werden moderne Paare aus der Alltags-, Club- oder LSBTIQ-Szene. Ein Liebhaber wird abgewiesen, eine attraktive Tänzerin entpuppt sich als Mann, am Schluss lieben sich zwei Frauen.

Die acht Kurzchoreografien von Marston, Rustem, Finn und Signoretti sind mehrheitlich schnell und akrobatisch  verwickelt. Leisere Töne sind selten. Ähnliches gilt auch für die Originalmusik von Nicolas Rabaeus, einem jungen Genfer Komponisten mit Schwerpunkt Jazz, der häufig für den Film arbeitet. Getanzt wird hervorragend. Die Tänzerinnen und Tänzer sind voll auf Zack und sichtbar glücklich, wieder auf der Bühne zu stehen.

Die Choreografien sind zeitgenössisch mit verschiedenen Akzenten. Die Tanzenden bewegen sich barfuss, in Socken oder Schläppchen. Klassisches Ballett kommt nicht vor. Das mag erstaunen, denn Cathy Marston wird ab 2023 als Nachfolgerin von Christian Spuck das Ballett Zürich leiten, dessen internationaler Ruf sowohl auf klassischem wie zeitgenössischem Tanz basiert. Aber Marston, die eine Zeitlang das Berner Ballett leitete, ist ein Tausendsassa und wird es vermutlich schon schaffen.

Die Uraufführung erhielt sehr herzlichen Applaus. Nach vier Auftritten in Winterthur wird die Compagnie La Ronde ab Ende April auf acht verschiedenen Schweizer Bühnen auftreten, im Rahmen des diesjährigen Migros--Kulturprozent Tanzfestivals Steps (28.4.-22.5.2022). Alle dürfen sich freuen!

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