"Monteverdi" von Christian Spuck. Tanz: Cohen Aitchisan-Dugas, Inna Blash

"Monteverdi" von Christian Spuck. Tanz: Cohen Aitchisan-Dugas, Inna Blash

Liebe, Schmerz, Melancholie

«Monteverdi», Christian Spucks jüngste Produktion für das Ballett Zürich, greift ans Herz

Spuck ist fasziniert von den Madrigalen und Lamenti Claudio Monteverdis aus der Übergangszeit von Renaissance zum Frühbarock und schafft mit seiner letzten Premiere in Zürich ein eindrückliches Musik-Tanz-Theater.

Zürich, 17/01/2022
«Bringe mir meinen Liebsten zurück,/So wie er einst war,/ Oder töte mich,/ Damit ich nicht mehr leide.» So klagt eine Nymphe, die von ihrem Geliebten verlassen worden ist.

Dagegen die Stimme eines Mannes: «So süß ist die Qual,/ Die in meiner Brust wohnt,/ Dass ich frohgemut bin,/ Obwohl die Schöne grausam ist.»

Sie liebt ihn, er verlässt sie. Er verehrt sie, sie begegnet ihm mit Verachtung und lässt ihn abblitzen. Viele Madrigale – weltliche Singgedichte - von Claudio Monteverdi (1567-1643) folgen diesem Schema. Liebe erzeugt Schmerz, aber dieser Schmerz ist oft süß, endet nicht in hoffnungsloser Schwermut, sondern in gefühlsseliger Melancholie und in Gesängen von trunkener Schönheit.

Das etwas lang geratene, aber im Ganzen wunderbar gelungene Musik-Tanz-Theater «Monteverdi», das Christian Spuck für das Ballett Zürich geschaffen hat, setzt vor allem Kapitel aus dem Achten und letzten Madrigalbuch (1638) des Komponisten in Tanz um. Dazu kommen ein paar Gesangsstücke von Zeitgenossen Monteverdis.

Ein Kernstück der neuen Produktion bildet Monteverdis «Il Combattimento di Tancredi e Clorinda»: Der Kreuzritter und die Königstochter aus dem feindlichen Lager der Sarazenen lieben einander. Im Krieg trägt sie Rüstung, er erkennt sie nicht. Heftig ist beider Einsatz mit dem Schwert. Am Schluss zieht er der Schwerverletzten den Helm vom Kopf. Erst da erkennt er Clorinda.

Der Kampf der Liebenden wird von zwei Tenören (Edgaras Montvidas, Anthony Gregory) und einem Sopran (Lauren Fagan) erzählt, aber nicht in ein eigentliches Handlungsballett umgesetzt. Der Tanz von Lucas Valente und Michelle Williams ist abstrakt und fragmentarisch. Trotzdem lassen sich die beiden leicht als Tancredi und Clorinda identifizieren. Sie wirken versunken in ihre Rolle, doch gleichzeitig auf dem Sprung, aktiv zu werden. Hervorragend.

Getanzt wird fast den ganzen Abend über abstrakt. Abstrakt heißt aber nicht seelenlos. Die Mitglieder des Balletts Zürich und des Juniorballetts strahlen Gefühl und Kraft aus. Manche überraschenden Bewegungen hat nicht der Choreograf für sie erfunden - sie verdanken sie ihrer eigenen künstlerischen Fantasie.

Nur die Szene «Lamento d’Arianna» mit dem beliebten langjährigen Solistenpaar Katja Wünsche und William Moore erinnert noch an klassisches Ballett. Ariadne, die auf Spitzen tanzt, ist von ihrem Geliebten Theseus verlassen worden und sieht sich der Einsamkeit mit wilden Tieren ausgesetzt. Den Text der Klagenden singt anrührend die junge Siena Licht Miller (Mezzosopran).

Im Orchestergraben sitzen Mitglieder von La Scintilla, der Spezialformation für Alte Musik der Philharmonia Zürich, im Halbkreis. Sie erzeugen die wunderbaren, fast in Trance versetzenden Klänge Monteverdis und seiner Kollegen. Violine, Bratsche, Cello, Gambe, Violone, Theorbe und Cembalo, für die Mehrzahl des Publikums leider unsichtbar, sind auch optisch eine Freude. Der umsichtige Dirigent dieses Abends, Riccardo Minasi, spielt gleichzeitig die Violinsoli. Erfolgreiches Multitasking.

Auf der Bühne sichtbar sind dagegen die sieben Gesangssolistinnen und -solisten: Neben Sopran, Mezzosopran, Tenor und Bass bezirzt auch ein Countertenor (Aryeh Nussbaum Cohen) das Publikum. Zwischen den einzelnen Auftritten stehen, spazieren, sitzen sie herum. In Alltagskleidung, angedeuteten oder durchgehenden Theaterkostümen wirken sie malerisch integriert. Vor allem aber schildern sie in dramatisch-beseeltem Ton, was sich in den Madrigalen, Lamenti und Arien abspielt. Eingeblendete Zeilen auf Deutsch und Englisch laufen derweilen über den oberen Bühnenrand - sie geben den wichtigsten Inhalt wieder.

Bühnentechnisch verlässt sich Spuck auf sein bewährtes persönliches Team: Die Kostümbildnerin Emma Ryott, den Bühnenbildner Rufus Didwiszus und auch den Lichtgestalter Martin Gebhardt. Didwiszus hat einen Raum in verschiedenen Graustufen geschaffen, mit verschiebbaren Stellwänden, einem Metallgerüst und vielen leeren Stühlen. Mit diesem Zubehör lassen sich die unterschiedlichsten Räume symbolisieren.

Kostümbildnerin Emma Ryott hat diesmal besonders reizvoll gearbeitet. Sie benutzt mehr Farben als sonst. Am Anfang tragen die Tänzerinnen und Tänzer zu ihren Alltagshosen lockere Leibchen oder langärmlige Pullover. Später greift Ryott andeutungsweise auf historische Elemente zurück. Starre Renaissance-Kragen werden zu leichten weissen Accessoires. Die volle Kriegerrüstung überlässt sie den Statisten, bei Tancredi beschränkt sie sich auf ein paar plastisch metallisch wirkende Achselpatten und Armschienen. Clorindas Kettenhemd ist auf ein Shirt mit silbern glitzernden Mustern geschrumpft, das eher sexy als kriegerisch wirkt. Aber die Erzählung von Tancredi und Clorinde ist ja auch eine Liebesgeschichte.

Und nun der spezielle Kniff in Spucks «Monteverdi»: Zwischen den betörenden Stücken des Komponisten und seiner Zeitgenossen erklingen Schlager aus dem letzten Jahrhundert aus einem altmodischen Tonbandgerät. Texte kriegt man selten mit, höchstens einmal aus den «Caprifischern» von Rudi Schuricke ein «bella bella bella Marie, bleib mir treu, ich kehr zurück morgen früh». Bei «Azzurro» mit Adriano Celentano singt das ganze Ensemble mit. Ohrwürmer kriechen ins Publikums: Melancholie auf populär.

Nach Verdis «Messa da Requiem» (2016) und Schubert/Hans Zehnders «Winterreise» (2018) ist «Monteverdi» das dritte Musik-Tanz-Theater von Christian Spuck für das Ballett Zürich. Ein viertes wird es nicht geben. Überhaupt keinen Abendfüller mehr von ihm. Denn nach einer Übergangszeit wird Spuck ab 2023/24 Intendant des Staatsballetts Berlin, das sich seit langem in der Führungskrise befindet.

So war bei der Uraufführung von «Monteverdi» am 15.Januar in Zürich bei starkem Applaus auch bereits Abschiedsschmerz zu spüren. Seit seinem Antritt zur Spielzeit 2012/13 hat Christian Spuck in Zürich ungeahnten Erfolg – sein hochkarätiger Vorgänger hieß schließlich Heinz Spoerli! Die Vorstellungen des Ballett Zürich vor Corona-Zeiten sind meist fast 100-prozentig ausgebucht. Spuck wird von Publikum und Kritik geliebt und geschätzt.

opernhaus.ch

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