„Caboom“ von Sebastian Weber Dance Company 

Wut-Joga in spielerischem Tohuwabohu

Sebastian Weber Company mit „Caboom“ im Leipziger Lofft

Hier wird deutlich, was man unter zeitgenössischem Stepptanz zu verstehen hat

Leipzig, 16/10/2022

Es hört sich zunächst an wie Regen, der auf ein Dach trommelt, doch viel rhythmischer und es schwillt an, wird lauter, bis ein Blitzlicht die Bühne erhellt, wo neun Tänzer*innen in Formation stehen und kaum sichtbar diese trippelnden Sounds erzeugen. Das Licht dimmt auf, und schon bald brechen einzelne aus dem Tableau aus, formieren sich neu in wechselnden Konstellationen, einige fließen, andere üben sich in zackigen Moves, bis schließlich der einsetzende Elektrobeat alles in einen Hexenkessel verwandelt, der aber trotzdem klar geordnet scheint.

Die trommelnden, klickenden und schleifenden Geräusche aber bleiben durchgehend erhalten, denn  was die Sebastian Weber Dance Company hier abliefert, ist schließlich wie immer bei ihnen zeitgenössischer Stepptanz. „Caboom“, wie das Stück heißt, das am 14. Oktober im Leipziger Lofft Premiere feierte, ist eigentlich eine Wiederaufnahme oder genauer eine Reloaded-Version. Vor fünf Jahren feierte die Company mit diesem Stück ihren Einstand, und mittlerweile ist man nicht nur personell gewachsen, sondern verfügt über ein eigenes Studio in Leipzig, zahlreiche nationale Kooperationspartner und – das wahrscheinlich wichtigste – eine solide Fan-Basis, die sich aus mehr zusammensetzt als die üblichen Tanz-Enthusiasten. „Caboom“ kann in dieser Version sicher als das Referenzstück der Truppe gesehen werden.

Es ist vor allem die Kombination von flirrenden Gruppenszenen mit sehr organisch choreografierten Verläufen, wenn sich etwa alle in einem gut drei Meter breiten Lichtstreifen versammeln und eine Art gestepptes Rennen simulieren. Leute kommen nach vorne, fallen nach hinten, alles in wundersamer Rhythmik, um dann als Auflösung Nik Kemeny das Feld zu überlassen, der mit kraftvollen Moves voller Witz und absolutem Selbstbewusstsein das Publikum in seinen Bann schlägt. Wie er scheinbar in schnellsten Moves über seine eigenen Füße stolpert und dabei den Stepp auf eine neue Ebene zu bringen scheint, das ist gleichsam kunstvoll wie unterhaltend. An anderer Stelle übernehmen Sebastian Weber und Andrea Alvergue diesen Part. Mit Rose im Haar und zur Musik „Amor de loca juventud“ des Buena Vista Social Club liefert sie sich mit Weber einen ironischen Flirt, der gleichsam groteske Ideen und Zärtlichkeiten vereint, die schließlich mit dem Ende des Songs abrupt enden.

Musikalisch dominieren wummernde Beats, die auch mal mit Nachrichten-Sounds gesampelt werden, wenn die Gruppe nicht gerade auf selbst produzierte Körperpercussion setzt oder mit der überragenden Stepptechnik Ausflüge in den Flamenco andeutet. Grenzen gibt es hier keine, statt dessen kulturelle Aneignung im positiven Sinne, etwa wenn Helen Duffy eine Art Wut-Yoga erfindet, und darin auch Elemente von Tai-Chi und Capoeira stepptänzerisch verarbeitet.

So ist dieser Abend 70 Minuten oft atemlos spielerisches Tohuwabohu und die grauen Handtücher, mit denen die Company immer wieder die Schweißspuren vom Parkettboden wischt – auch dies eine Anschaffung der Company, um sich selbst überall ideale Bodenbedingungen bieten zu können – sind fast schon eigene Akteure. Am Ende dann noch ein kleiner Überraschungsmoment, wenn wieder alle auf der Bühne stehen und in die kleinen Trippelgeräusche vom Anfang zurückfallen, man aber kaum eine Bewegung erahnt. Die Sebastian Weber Dance Company kann offenbar zaubern, so perfekt beherrschen sie ihr Handwerk.

 

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