"Bach Brasil". Tanz: Ensemble

Zwischen Flucht und Erschöpfung

„Bach Brasil - Die Kunst der Flucht“, Tanztheater von Mario Nascimento

Die kraftvolle Auseinandersetzung der Kompanie des Tanztheaters der Landesbühnen Sachsen mit Fluchtbewegungen geht unter die Haut und bleibt im Kopf.

Radebeul, 19/04/2022

„Bach Brasil - Die Kunst der Flucht“, so der Titel der neuesten Produktion der Tanzkompanie an den Landesbühnen in Sachsen. Als Musik für 18 kurze Szenen in gut 75 Minuten fungieren knappe Sätze ganz unterschiedlicher Werke von Johann Sebastian Bach, ob aus der Kunst der Fuge, dem wohntemperierten Klavier, instrumentaler Bearbeitungen aus Kantaten oder Sätzen verschiedener Concerti. Also klar: „Bach“. Als Choreograf konnte Mario Nascimento aus Brasilien, künstlerischer Leiter des CDA – Corpo de Dança do Amazonas, gewonnen werden. Für Kostüme und Lichtdesign im ansonsten leeren Raum der Radebeuler Bühne zeichnete sich Marcelo Damian Zamora, künstlerischer Leiter der Virtual Cia de Dança, verantwortlich. Somit auch klar: „Brasil“, ergibt zusammen: „Bach Brasil“.

Fluchtbewegungen zur Rettung menschlicher Existenzen aus Venezuela, weltweit kaum wahrgenommene Fluchtbewegungen isolierter Naturvölker in Amazonien – so erfährt man aus Beiträgen des Programmheftes von Christoph Gurk und Jan-Uwe Ronneburger – dürften zum Hintergrund für diese tänzerische Auseinandersetzung mit den Bewegungen von Menschen auf der Flucht, mit ihrem Hab und Gut im einzigen Koffer, für das künstlerisch verantwortliche Team geworden sein: „Bach Brasil – Die Kunst der Flucht“.
Keine Frage, aktuell wird dieses Thema, werden diese Bilder, werden diese Versuche verzweifelter Rettungsversuche auf grausamste Weise von der nun gar nicht so weit entfernten Gegenwart eingeholt.
 

"Bach Brasil". Tanz: Ensemble

Und wer sich angesichts der ersten Szenen flüchtender Menschen, bei beklemmender, auch verstörender Hilflosigkeit immer wieder in Momente emotionaler Schockerfahrungen versetzt sieht, wird erstaunt sein, wie aktuell Kunst, insbesondere der Tanz, sein kann. Und dies zudem auf ganz andere Weise als mit den täglichen Bildern der Nachrichten. Und wenn sich dann immer stärker so etwas wie eine Unsicherheit, eine regelrechte Verwirrung der Gefühle ereignet, dann stellt sich zunehmend die Frage danach, wie es sein kann, zu den Bildern des Tanzes, die der aktuellen Realität so nahekommen, jene Musik zu vernehmen, die vor fast 300 Jahren komponiert wurde. Musik mit der Strenge ihrer Kunstform, die dennoch mit ihrer Kraft der Klänge immer wieder so etwas wie die Unsterblichkeit der Visionen von Hoffnungen beschwört.

Dieser Tanz, diese choreografischen Fluchtbewegungen, gönnen den elf Tänzer*innen der Radebeuler Kompanie keine Pause. Auch wenn sie erschöpft auf ihren Koffern sitzen bleiben, ist das kein Ausruhen. Immer wieder gelingen in hastigen Szenen des Aufbruchs mit unbestimmtem Ziel aber auch innige Szenen zarter Begegnungen, Soli von träumerischer Kraft momentaner Ausflucht bei unabwendbarer Ausweglosigkeit. Wenn die Koffer zu Trommeln des Widerstandes werden, auch der Verzweiflung, dann bricht sich die Kraft des Tanzes ihre Bahn, insbesondere aber immer wieder in treibender Körperlichkeit der Gruppendynamik im Kontrast mit den Momenten der Erschöpfung oder den Szenen solistischer Flucht in die Einsamkeit. Flucht und Erschöpfung bedingen einander.

Der Tanz geht bei aller Flüchtigkeit der Kunst doch unter die Haut. Da bleiben Szenen, Momente, auch Klänge im Kopf. Und das wäre nicht so, erlebte man nicht eine so kraftvoll wie anspruchsvoll aufgestellte Kompanie des Tanztheaters der Landesbühnen Sachsen. 

"Bach Brasil". Tanz: Ema Jankovic, Alena Krivileva, Emilia Lakic

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