Riesen und Zwerge
TANZPAKT Stadt-Land-Bund-Projekt: „On the shoulders of giants“ in Bremen
von Rainer Beßling
Podeste rollen auf die Bühne, Sockel für Körperskulpturen. Ein Paar in enger Umarmung. Ein Kraft behauptender Mann. Und noch ein Anderer in eingefrorener Abwehrgeste. Ein Kampf wird angedeutet. Gegenpol zum Standbild der Liebenden. Dann lösen sich die Bildnisse auf in bewegte Szenen und die Struktur des Stückes ist gesetzt. Ein Strom von Begegnungen, an den Polen Annäherung und Abkehr verankert, strebt auf erstarrte Posen zu, um sich dann wieder zu verflüssigen.
„Endtropy“ lautet der Titel des Stücks, erster Teil der neuesten Produktion der Bremer Compagnie „Of Curious Nature“, choreografiert vom Vierer-Kollektiv „Frantics Co.“. Das der Physik entlehnte Wort von der Entropie hat gerade Konjunktur. Die Gegenwart ist in schönster Unordnung, entfesselte Solisten und Selbstdarsteller posen im Optimierungswahn um Ermächtigung und Entmächtigung. Die Reibungsenergie der hitzigen Gefechte und Spiegelfechtereien lassen das Zusammensein erkalten. Schäumende Blasen schotten sich ab.
Das junge Ensemble greift die aktuelle Gesellschaftsdiagnose in differenzierter Weise auf. In Korrespondenz mit den vielschichtigen Klanggebilden von Miguel Marin wechselt die Performance zwischen präzisen Körperkonturen und gestenreichen Binnendramen. Die auf hohem technischem Niveau agierenden Tänzerinnen und Tänzer verbinden physische Präsenz mit einem Subtext von Fragen und Reflexion. Überschwang paart sich mit Verzweiflung. Das Bühnengeschehen ähnelt dem Zusammenspiel von grafischen und malerischen Momenten, passend zu der zwischen treibendem Puls, flüchtigen Glissandi und bildstarken Klangflächen changierenden Musik.
Der bildstarke Bewegungstext über die Ich-Ikonen-Flut entspringt ganz den tänzerischen Aktionen. Die heißlaufende Energie der Selbst-Fixierung und Selbst-Inszenierung ist in jeder Körpernuance mitzuerleben, nicht bloß nachzuvollziehen. Klangliche und körperliche Spots auf die Podien der Selbstwirksamkeitsshows, auf durchgestylte Kontrollfreaks und Einflüsterer sind Inszenierung, Dokument und Kommentar. Die Paradoxien dieser Perfektionsreligion lassen sich aus der virtuosen tänzerischen Übersteuerung erschließen. Mit stilistisch breitem tänzerischerem Repertoire und mitreißend dynamisch heizt sich die Feier der Oberfläche am Rande des Zusammenbruchs auf.
Das zweite Stück des Abends hat Compagnie-Leiter Helge Letonja konzipiert und choreografiert. Schon der Titel „A Late Summer Night‘s Dream“ deutet die Referenz zu Shakespeares Klassiker an. Die Kulisse kommt mit kargem Geäst aus. Für geheimnisdurchwehte Waldstimmung sorgt das atmosphärisch reiche Lichtdesign von Laurent Schneegans. Durch schwebenden Dunst windet sich immer wieder neu abschattiertes Licht, ein grafisches Muster in überraschender Klarheit wirft der Schatten der Äste, ein strömendes Rot kleidet den lustbefeuerten Taumel der weltflüchtenden Truppe ein.
Während „Endtropy“ das kalkulierte Schrauben am Ich thematisiert, steht beim spätsommerlichen Waldbesuch eher die Selbstvergessenheit im Zentrum. Ein dämonischer Puck agiert als Zeremonienmeister, der die Naturgäste am mystischen Ort der Wildheit und des Ursprungs zu deren verborgenen Begehren lockt. Die Klanglandschaften, auch hier ist der Komponist Miguel Marin, fächern eine breite Palette auf. Beginnend mit fast zögerlichen Tupfern, die das tänzerische Geschehen als leichtes und lichtes Spiel orchestrieren, fällt der Sound in ein ostinates Drängen, einen Mix aus archaisch anmutenden Rhythmen und Rave. Neben dem Puls liegen Flirren und Knistern. Die Bodenhaftung der tänzerischen Figuren wechselt mit traumbefeuertem Schweben. Soli über individuelle Ekstase lösen sich mit Formationen ab, die den Energieschub der Gruppe abbilden.
Marins Musik schiebt an und hält inne, schafft Spannung und Stimmung. In dem von sinnlichen Reizen und verborgenen Verheißungen aufgeladenen Off fächern die Tänzerinnen und Tänzer die Suche nach den Anderen und dem Anderen in Miniaturen und Panoramen auf. Sie inszenieren auf einem nicht nachlassenden Energiebogen das Streben nach ausgelebter Körperlichkeit und die Sehnsucht nach Verbundenheitsempfinden. Die Szenerie nimmt immer mehr den Charakter eines Kults, eines Rituals an. Das Einzelne versinkt im Einssein. Im Zusammenspiel von Musik, Licht und Körpersprache bilden sich an einem magischen, immer mehr ortlosen Traumschauplatz Symbiosen. Der Traum mündet im Schlaf. Der kommende Tag wird sich an der Nacht nähren. Der Körper an den Sehnsüchten, der Geist an den Imaginationen. Das Stück ist zu Ende. Alles auf Anfang.
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