Schabernack zwischen Meeresgöttin und Mönch
Regensburger Tanztage I: Bei der Solotanznacht in Regensburg stellen sechs junge Tänzer*innen und Choreograf*innen preisgekrönte Stücke vor
Regensburger Tanztage II: Die neue Tanzplattform ChoreoLab TanzSüd begeistert mit ihrer ersten Produktion
In typisch bissig-boshafter Manier sah George Bernhard Shaw im Tango den „vertikalen Ausdruck eines horizontalen Verlangens“. Simone Elliott, Sade Mamedova, Emese Nagy und Pablo Sansalvador, die vier Choreograf*innen des Tanzabends „It takes four to Tango“, haben sich bei der Kreation ihres jeweiligen Parts an die unbekannte Weisheit gehalten: „Life is like tango: sad, sexy, violent and quiet“. In ihren Beiträgen waren heiter und ironisch gebrochene Klischees ebenso zu finden wie dramatisch-traurige Momente, Kampf, Stille und Sexiness. Und noch einiges mehr, etwa dass Tango auch nach Reggae, Swing oder einem schnellen Techno-Beat klingen kann. Die thematisch verbundenen Choreografien – getanzt von Fabio Calvisi und Vittoria Franchina aus Italien, dem Spanier Julian Lazzaro und Katharina Ludwig aus Deutschland – trieben das Publikum im ausverkauften Regensburger Theater an der Uni zu standing ovations.
Den Anfang bildete „The Sound of Silence“ der in Russland geborenen Mannheimerin Mamadova. In ihrem Teil verarbeitete sie mit zwei Tanzpaaren noch am deutlichsten Tangoschritte und -formen. Doch schon bald begannen diese sich aufzulösen, als Tänzer aus den Armen der Partnerin glitten und zu Boden fielen. In einer ruhigen, in sich gekehrten Atmosphäre – Musik: Nils Frahm und Asaf Avidan – zerbröselten die traditionellen Formen immer mehr. Es bildeten sich neue Paare, ein Trio entdeckte seine Zuneigung, dem setzte eine Tänzerin ein intensives, intimes Solo entgegen. Schließlich fand keine*r mehr zum/zur anderen. Einer rollte sich lieber im Teppich ein, bis sich die Tanzakteure nach Vereinzelung und in synchronen Schritten und Bewegungen wieder aufeinander einließen.
Zwischen grimassierender Komik, Groteske und Vorsicht fand in „Unbind“ von Simone Elliott eine sukzessive Annäherung zweier Frauen statt. In klischeehaftem Nachkriegsambiente mit Nierentisch und Stehlampe begegnen sich die Tänzerinnen zu schnulziger Musik im Wohnzimmer und öffnen sich nach und nach. Dabei entdeckten sie eine unerwartete und neue Nähe, die zunächst auch verunsichert und Angst machte, was sich in bizarr verzerrtem Puppenlachen äußerte. Auch wenn die Tänzerinnen/Frauen bei ihrem manchmal komischen Stolpern daneben griffen oder in den Armen der anderen querlagen, fanden sie zur Freiheit und einem starken Ausdruck zugewandter Verbundenheit.
Dramatisch und aufwühlend die Begegnung zweier Tänzer in „Un Abrazo“ (Umarmung) von Pablo Sansalvador. In einer spannungsvollen Lichtführung trafen die Männer aufeinander, entwickelten über kleine Streichelbewegungen und hingebungsvollen Figuren eine Nähe, die notwendigerweise zu Gefühlen von Verlust und Trauer führen mussten. Sansalvador ließ sich für seine bewegende, poetische Erzählung von den Anfängen des Tangos im 19. Jahrhundert anregen, als wegen Frauenmangel Männer oft miteinander übten.
„Endlich Kampf“, rief ein Zuschauer begeistert aus, als bei „Underground Resistance“ von Emese Nagy LED-Streifen auf dem Tanzboden einen (Box-)Ring markierten. Nach und nach sprangen, rasten, schlenderten drei Tanzende in Trainingsklamotten in den „Ring“. Vor dem Publikum warfen sie sich machohaft in Pose und vollführten zu nervigen Technosound grelle Solos zwischen Gegockel, Anmache und prolomäßigem Angebertum. Dabei schreckten die Tanzenden – Calvisi, Ludwig und Franchina – weder vor häßlichen Fratzen, pubertären Überheblichkeitsformen oder übersteigerter Selbstgefälligkeit zurück. Ein kühnes, herrlich unterhaltsames, aber auch (selbst-)entlarvendes Stück zwischen Straßenkunst, ridikülem Humor, Trash und komödiantischem Horror. Ein wunderbarer, tänzerisch fantastischer Abschluss für einen überraschend vielfältigen Abend.
Wenn ChoreoLab TanzSüd dieses Niveau ausbauen kann, ist von dieser neuen Plattform noch viel zu erwarten.
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