Allein, dass sein Vorname „Gert“, wie der meine auf einem t endete und nicht auf einem läppischen d, nahm mich für ihn ein: Gert Reinholm. Nachdem ich Provinzler den tollkühnen Entschluss fasste, Tänzer zu werden und nach langwierigen innerfamiliären Schlachten die Kunst den Sieg über das bürgerliche Lager davon getragen hatte, wurde dann doch (natürlich) die ganze Maschinerie der Unterstützung angeworfen. Da gab es einen lieben Freund der Familie, der in der Berliner Bleibtreustrasse eine Dormeuil Vertretung (heute noch die besten englischen Tuche) hatte. Der kannte nun wieder Gert Reinholm, der dort die feinen Zwirne aussuchte, die er dann von seinem Schneider fertigen ließ. Der grüne (fast) Abiturient bekam also eine Audienz beim großen Gert Reinholm, den er ja nur von den vielen Fotos von Enkelmann kannte, die damals in den einschlägigen Ballettpublikationen in Umlauf waren. (Wie selig war ich, als ich viele davon neulich in dem Gsovsky Buch wiederfand!) Da stand ich nun in eben diesem Ballettsaal der Deutschen Oper Berlin, mutterseelenallein mit Schwitzehand an der Stange und folgte - so gut ich konnte - den französischen Kommandos dieser Lichtgestalt.
Mit ständig leicht zusammengezogenen Brauen, unendlich sprachartikuliert und angestrengt, machte er den Eindruck höchster Autorität auf mich. Von den wenigen Idolen, die ich im Leben hatte, war Gert Reinholm eines. Ich wäre damals für ihn durchs Feuer gegangen. Aber wie das mit Idolen so ist, muss man auch hin und wieder eines vom Sockel holen, um seine eigene Entwicklung voranzutreiben. So geschah es mit Gert Reinholm. Ich wanderte – nach beendeter Ausbildung – nach Kopenhagen und dann Stockholm ab, entzog mich also bewusst der Einflussname Reinholms und Gsovskys.
Ach ja, was er mir noch damals nach dieser Eignungsprüfung mit Happy End sagte (ich kämpfte noch mit meinen schlotternden Knien und meinem heissem Herzen) er fände es klug, das Abitur noch mitzunehmen, man wüsste doch nie
und in meinem Alter (ich war schon fast zwanzig) ... später könnte ich vielleicht ins Journalistenfach wechseln, da brauchte man ja auch kundige und engagierte Leute, momentan mangele es auf dem Gebiet doch sehr. Schon damals, 1964, hat er ein fast prophetisches Gespür gezeigt. Nach der Wiederbegegnung 1982 bei der Produktion TUTUGURI, die das Probenfoto zeigt, habe ich Gert R. nicht mehr getroffen. Immer wieder nahm ich mir vor: beim nächsten Berlin Besuch wirst Du ihn mal anrufen. Ich habe es nie getan und nun ist es zu spät.