WEIGELT.WEB - PINA BAUSCH

Pina Bausch, copyright Gert Weigelt

 

Liebe tanznetz.de-User,

von nun an werde ich Ihnen sporadisch etwas ausführlichere Bilderstrecken anbieten. Auch diese, naturgemäß, aus dem eigenen Lebens- und Arbeitsfundus rekrutierend.
Wenn ich heute mit einer Porträtstrecke über Pina Bausch beginne, so hat das durchaus den Hintergrund, dass ich mit kaum einem anderen Choreografen (abgesehen vielleicht von Hans van Manen) eine derart konstante Wechselwirkung pflege. Das Bausch-Œuvre bildet also einen wichtigen Eckpfeiler meines Archivs. Seit fast 32 Jahre sind wir Weggefährten. Zeit, (Zwischen-)Bilanz zu ziehen.

Schon 1970/71 hatte ich in Stockholm den Namen Pina Bausch gehört. Tänzerkollegen vom Cullberg-Ballett, die aus dem Folkwang-Zusammenhang kamen, erzählten voll Begeisterung von diesem Talent, dieser Persönlichkeit, die da heranwuchs. Dann gab es ein Gastspiel auf einer kleinen Stockholmer Bühne, bei dem ich zum ersten Mal, mit eigenen Augen, den vorauseilenden Lobgesang verifizieren konnte. Pina Bausch und Jean Cebron stellten sich sowohl als Tänzer wie auch als Choreografen vor. Da meine Erwartungen durch die Schwärmereien derart hochgeschraubt waren, nahm es nicht wunder, dass ich damals eher enttäuscht war.

Es war dann während meiner Zeit beim NDT, dass ich zum zweiten Mal von Pina hörte. Sie hatte wohl gerade (1974) überregionales Aufsehen mit „Iphigenie“ erregt und die Leitung des Nederlands Danstheater (vor allem der ausgewiesene Opernfreund Carel Birnie) erwog, sich dieses Talent mal anzusehen. Dann beendete ich im Sommer 1975 meine aktive Tanzkarriere und siedelte nach Köln über. Dort war es Horst Koegler, der mich auf das Wuppertaler Tanztheater aufmerksam machte. Pina Bausch wollte sich an Strawinskys „Sacre“ versuchen und die Gerüchte, die aus Wuppertal nach Köln drangen, waren mehr als positiv. Im Dezember fuhr ich also zur GP nach Wuppertal und fotografierte...: „Sacre“.

Es gab zwar noch zwei weitere Uraufführungen davor („Wind von West“ und „Der zweite Frühling“), aber die interessierten mich überhaupt nicht. Ich hob meine Kameras nicht ein einziges Mal. Es existiert von diesem ersten Wuppertal-Besuch tatsächlich nur Material aus „Sacre“. Reziprok zur relativen Interessenlosigkeit, mit der ich die beiden vorangehenden Stücke aufnahm, wurde ich von der Wucht des „Sacre“ aufgeputscht. Diese aus heutiger Sicht vielleicht sogar etwas snobistisch anmutende Haltung bedauere ich bis heute. Es sind zwei mögliche Stücke des Bausch-Œuvres, die meinem Archiv fehlen. Ein tragischer, nicht wieder gutzumachender Fehler. Ein bisschen mag ja auch mein selbst auferlegter Sparzwang mit im Spiel gewesen zu sein. (Man erinnere sich: ich war wieder Student mit begrenzten Mitteln. Also: keine Materialverschwendung für Dinge, die sich am Ende nicht amortisieren.)

Fortan wurde ich zu einem glühenden Bausch-Verehrer und treuem Weggefährten. Bis heute habe ich, seit diesem Bausch'schen Meilenstein „Sacre“, keine Produktion verpasst. Irgendwann begann ich dann Pina auch selbst „einzufangen“. Dann, wenn sie zwischendurch bei Proben das Regiepult verließ, um auf der Bühne mit ihren Tänzern, der Technik oder dem Bühnenbildner in Direktkontakt zu kommen. Später habe ich dann auch mal angefragt, ob ich nicht mal zu einer Ballettsaalprobe kommen dürfte, um Arbeitsporträts zu machen. Man hat es mir nicht immer leicht gemacht. Ich fühlte mich ja immer noch als Tänzer und somit dazugehörig. Die Wuppertaler ließen mich aber immer deutlich fühlen, dass ich eigentlich ein Eindringling war. Ich möchte behaupten, dass es fast Jahrzehnte dauerte, ehe ich ein mildes Gefühl der Akzeptanz von Seiten des Tanztheaters spürte. (Unabhängig davon pflegte ich immer mal wieder engere Bekanntschaften zu einzelnen Mitgliedern des Tanztheaters.)
Diese Sammlung der Bausch-Porträts umfasst also runde 30 Jahre. Ein halbes Leben, das Gesichter und Physiognomien verändert. Mit Pina verbindet mich nicht nur ihr Werk, das ich für mein Medium interpretiert habe, sondern auch der Geburtstag. Ich bin zwar schlappe drei (Kriegs-)Jahre später geboren, aber am gleichen Tag: dem 27. Juli. Vielleicht bilde ich mir deshalb ein, Pinas Arbeit, ihre „Denke“ und ihre Eigenarten besonders gut zu verstehen.

Gert Weigelt, 2008

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