Kontinuität
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„confused + affected“ von Beate Höhn und Micha Purucker in Nürnberg
von Florian Welle
Vor Beginn der Aufführung erhält das Publikum von Beate Höhn einen gutgemeinten Ratschlag. „Blicken Sie in Richtung der Lichtquelle“, sagt die Nürnberger Choreografin, die die multimediale Performance „confused + affected“ gemeinsam mit dem Münchner Künstler Micha Purucker entwickelt hat, und fährt fort: „Sie können Abstand halten oder ganz nah an die dreizehn Performer und Performerinnen herangehen, das bleibt ihnen überlassen“. Anschließend öffnen sich die Türen des neu renovierten Festsaals im Künstlerhaus. Sechs lange Jahre war dieser geschlossen, nun steht man in einem leer geräumten schwarzen Kubus und blickt in die Höhe. An einer der Wände gibt es eine Balustrade, über die ein rotes Tuch gespannt ist. Man sieht Mikrofone, dahinter steht eine Performerin. Sie spielt einen Politiker, der eine Rede hält. Sie winkt den Anhängern zu, macht eine Geste, als würde sie alle umarmen wollen. Dann ballt sie auf einmal die Faust und schneidet Fratzen.
Schlagartig ist die Stimmung gekippt, es wird bedrohlich. Hörte man gerade noch Melodisches, wummert jetzt der Bass des Live-DJs Marius Müller, und zu diesem Zeitpunkt weiß das Publikum: Die Soundanlage des Festsaals kann was! Das werden Beate Höhn und Micha Purucker im Verlauf ihrer gut 70-minütigen Performance auch noch zu nutzen wissen. Man ist froh, wenn der harte Sound fürs Erste wieder abschwillt, sich die Tür zum holzgetäfelten Kleinen Saal öffnet und man weitergehen kann. „confused + affected“ ist wie ein Parcours konzipiert, gemeinsam schreitet man von Station zu Station. Die Aufführung beruht auf der Ausstellung „welcome to oblivion“, die Höhn/Purucker im vergangenen Jahr für Nürnberg, Fürth und München entwickelt hatten. Vor dem Hintergrund der sogenannten Zeitenwende präsentierten sie da Texte und Fotos, Filme und Wortbeiträge, die um die Frage kreisten, wie es sein kann, dass so vieles, was wir mit dem Fall der Mauer 1989 eigentlich für überwunden hielten, derzeit mit voller Wucht wiederkehrt: Die Sehnsucht nach Autokraten, die sagen, wo es lang geht; neoimperialistische Kriege; erneuter Kampf um die Rechte von uns Bürgern. Kurz: Kein Ende der Geschichte, nirgends.
Bei der ersten Station konnte man gar nicht anders als an einen hasserfüllten Politiker vom Schlage Donald Trumps zu denken. Auch die zweite Station erklärt sich mehr oder weniger von selbst. Auf dem Kamin des Kleinen Saals steht ein Bild, das zwei Schwarze Migranten zeigt, die über einen Stacheldrahtzaun klettern, um nach Spanien zu gelangen. Ein Polizist der Guardia Civil will sie daran hindern. Am Kamin stehen zwei Männer, der eine ist weiß, der andere Schwarz, und stoßen miteinander an. Nur um sich dann die Sakkos auszuziehen und in der Raummitte aufeinander loszugehen. Bei den beiden Ringern handelt es sich um professionelle Kampfkünstler, ihr Fight schaut echt und brutal aus. Das ändert aber nichts daran, dass die Idee, einen Kampf als Allegorie auf die Flüchtlingskrise zu zeigen, allzu plakativ ist.
Wieder zurück im dunklen Festsaal gewinnt die Aufführung dann mit jeder Minute an Dichte und Intensität. Konnte man dem eingangs erwähnten Ratschlag von Beate Höhn bis dahin folgen und immer in Richtung der Lichtquelle schauen, so wird dies zusehends unmöglich. Da zucken einige der ausgezeichneten Tänzer*innen konvulsivisch, während andere ein paar Meter weiter wie Zombies wanken. Da kreiselt der Hip-Hop-Weltmeister Henry Nguyen auf seinem Kopf, während kurze Zeit später der Akrobat Jonas Dürrbeck eine Fahnenstange für seine Kunst zweckentfremdet. Dazu ein rasant geschnittener, auf eine große Leinwand projizierter Film von Ali Al-Zubaidi, der einen mit einem halben Jahrhundert Weltgeschichte konfrontiert: Von Aids bis Ebola, von Anti-Atom-Protesten bis zu den Massendemonstrationen nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini. Dazwischen immer wieder Kriege, zerstörte Häuser, Tote und sehr viele Populisten und Potentaten. Dazu dröhnt die Soundanlage, einige Zuschauer*innen halten sich die Ohren zu.
Jetzt bewahrheitet sich der Titel der Performance: Man fühlt sich angesichts des multimedialen Overflows verwirrt und beeinträchtigt. Ganz im Sinne der beiden Choreograf*innen, die zeigen wollen, wie gewaltvoll sich politische Bilder in uns einschreiben. Was dieser Vorgang mit unseren Körpern und unseren Gefühlen macht, kann man bei „confused + affected“ also hautnah erleben. Mit der Inszenierung, der man sich nicht entziehen kann und in die geschickt Elemente aus Akrobatik, Tanz und Kampfsport eingeflochten wurden, feiert Beate Höhn auch das 25-jährige Jubiläum des Nürnberger Performancekollektivs co>labs, das sie 1999 mit dem Regisseur Arne Forke ins Leben gerufen hat. 40 Jahre wiederum ist Micha Purucker bereits in der Freien Szene erfolgreich tätig. Nun hat er ein weiteres Ausrufezeichen gesetzt!
Weitere Vorstellungen: 15. November, 20 Uhr; 16. November, 18 Uhr und 20.30 Uhr; 17. November, 16 Uhr.
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