Cristina D´Alberto: „to B.E.“

Von Müttern und Krokodilen

Cristina D´Alberto mit „To B.E.“ im Playground in München

Cristina D´Alberto lädt in München zu einer performativen Installation über Mutterschaft und spinnt darin ein intimes und poetisches Netz aus Erfahrungen, Fragen und Metaphern.

München, 20/12/2024

Es liegt eine besondere Qualität darin, wenn der Anfang eines Stücks nicht genau auszumachen ist, weil die Übergänge von „Leben“ und „Performance“ fließend sie. So beginnt „To B.E.“ von Cristina D´Alberto für mich persönlich bereits mit der Geburt meines Neffen einen Tag vor der Tanzinstallation, wodurch meine Perspektive maßgeblich geprägt wird. Oder fängt sie doch erst in dem Moment an, als alle Zuschauenden mit Tee, Glühwein und Mandarinen von Produzentin Laura Manz vor dem Playground Studio begrüßt werden? Und gehörte der Workshop über Schwangerschaft und Mutterschaft, welchen Cristina D´Alberto zwei Tage zuvor angeboten hatte, nicht eigentlich auch schon dazu?

Geschichten des Entstehens, Werdens, Vergehens

Der immersive Raum, in den „To B.E.“ einlädt, ist ein lebendes und atmendes Spiegelbild eines längst noch nicht abgeschlossenen Prozesses: D´Albertos Mutterschaft. Ihre Erfahrungen mit Schwangerschaft, Geburt und Muttersein übersetzt sie mit ihrem Team in verschiedene Medien. In einer Ecke findet sich eine Wolke aus dicht beschriebenen Blättern, auf denen Gedanken, Impulse und Recherchequellen zu finden sind.

Drei von Dan Burwood designte Videos sind im Raum zu sehen: An einer Wand überlagern sich Bilder aus Baumkronen und Wasserspiegelungen, am Boden findet sich die Projektion von sich ändernden Wolkenbildern. Auf einem Laptop sehen wir die Nahaufnahme mehrerer Hände, die gemeinsam einen Teig zubereiten und kneten. Alle Videos erzählen Geschichten des Entstehens, Werdens und Vergehens. Die Live-Musik von Leonhard Kuhn verdichtet den Raum – die Vibration der atmosphärische Soundcollage aus abstrakten Stimmfetzen, Geräuschen und einer E-Gitarre kann man physisch auf dem Boden spüren.

In diesen Kontext fügt sich die Tanzperformance von D´Alberto nahtlos ein. Auch wenn der sich bewegende Körper mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht, entsteht doch keine Hierarchie zwischen der Tänzerin und den anderen Objekten im Raum. Sie alle sind verschiedene Sprachrohre derselben Erzählung, die Erfahrungen teilen wollen, ohne dabei erklärend oder explizit zu sein.

Ein Spiel aus Fremdbestimmung und Selbst-ständigkeit

D´Albertos Bewegungen sind zunächst langsam, formen sich in einer Präzision, als würde jede Zelle gerade das erste Mal fühlen. Auf allen Vieren bewegt sich der Körper mit einer entschiedenen, aber zarten Kraft, es ist ein ständiges Balancieren und Austarieren der Kontaktfläche zum Boden, ein Laufen lernen. Daraus entwickelt sich schließlich ein aufrechtes Stehen, Biegen, Schwanken, eine fließende Dynamik, die von der Performerin verlangt, in jedem Moment aufs Neue ihre Mitte zu finden und zu befragen. Ein Hüpfen, Laufen, Drehen - federnde, sich wiederholenden Bewegungen. Es scheint ein Spiel aus Kontrolle und Fremdbestimmung zu sein, aus verbogen werden und Selbst-ständigkeit.

Die Krokodilmutter

Und dann ist da das Krokodil: Es begegnet uns sowohl in einer Fotocollage an der Wand als auch in einem Krokodilkopf aus Pappmache, den Cristina D´Alberto in der Mitte der Performance aufsetzt. Zu dieser symbolischen Figur wurde die Performerin von Jaques Lacans psychologischer Theorie vom Archetyp der Krokodilmutter inspiriert, die in einem Akt ultimativer Besitzergreifung ihre eigenen Kinder angeblich auffrisst. (Tatsächlich fressen Krokodile ihre Kinder nicht.) „We all have also the crocodile mother in us“, sagt D´Alberto und wirft so die Frage in den Raum, wie sich mit den besitzergreifenden und ängstlichen Emotionen umgehen lässt, die Mutterschaft mit sich bringt.

Mutterschaft und Zeitlichkeit

Tanzinstallation und Thematik sind auf feinsinnige Weise verwoben. Das Prozesshafte wird nicht nur sichtbar gemacht, sondern ins Zentrum gestellt, denn was ist Mutterschaft anderes als ein ständiger Prozess? Damit zieht sich auch die Frage der Zeitlichkeit durch alle Elemente der performativen Installation: in den Videos, die vom ständigen Wandel erzählen, in der unbedingten Präsenz, die in der Bewegungsqualität so eindeutig zu spüren ist und in den Texten im Raum. „Is it possible to stop time by being in it?”, schreibt D´Alberto. Eine klare Aussage: Mutterschaft verändert die Wahrnehmung der Zeit und kann Angst vor ihrem Vergehen mit sich bringen. „To B.E.“ spinnt ein intimes, poetisches und transparentes Netz aus Erfahrungen, Fragen, Emotionen, Metaphern, in welches die Zuschauenden sich einfach fallen lassen dürfen. So bleiben viele nach der Vorstellung gern noch etwas länger und knüpfen in Gesprächen ihre eigenen Erfahrungen an das entstandene Geflecht an.

 

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